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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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hinterherschnüffelnd.
    Renn dagegen war nach schrecklichen Träumen von Geistern, die mit Toraks Stimme geflüstert hatten, besorgt und bedrückt aufgewacht. Als sie aus dem Unterschlupf gekrochen war, waren die Raben verschwunden.
    Gemeinsam mit Dunkelfell war sie bei ihrem Aufstieg durch die Schlucht des Verborgenen Volkes gut vorangekommen; die Wölfin trabte voran und kam immer wieder zu Renn zurückgelaufen. Sie musste die Wolfssprache nicht verstehen, um das ungeduldige Jaulen zu deuten: Beeil dich! Geht es nicht ein bisschen schneller?
    Gelegentlich blieb Dunkelfell stehen und drehte den Kopf, um etwas zu beobachten, das Renn nicht sehen konnte. Manchmal wedelte sie mit dem Schwanz. Manchmal sträubten sich ihre Nackenhaare.
    Ein weißer Vogel flog pfeilschnell vor den Sternen dahin. Renn dachte an den weißen Wächter in ihrem Traum und sprang auf.
    Rechts von ihr fiel ein Schotterhang steil zu Tal, vor ihr führte ein Steinfeld bis zum heiligen Berg hinauf. Der Himmel war unermesslich und erbarmungslos. Kein Mond, der ihr Mut zusprach. Nur die kalten Sterne und der rote Blick des Großen Auerochsen – und dahinter die unendliche Dunkelheit.
    Vielleicht hat Eostra schon längst gewonnen, dachte Renn. Vielleicht ist Torak bereits einer der Verlorenen.
    Die Stille, in der sie sich durch das Steinfeld kämpfte, war schrecklich. Nur ihr heiserer Atem und das steife Rascheln ihrer Kleider waren zu hören. Stumm wie ein Geist lief Dunkelfell voran. Ein schwarzer Wolf ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen und Renn musste den Atemwölkchen der Wölfin folgen: kleine Lebenszeichen inmitten der Trostlosigkeit ringsum.
    Plötzlich sah sie, wie Dunkelfell über eine kleine Schneefläche zu einem dunklen Felsvorsprung hinüberschnürte, ihn umlief und aufgeregt beschnüffelte. Sie verschwand in einer Felsspalte. Renn hörte ihr Knurren widerhallen. Dann tauchte sie wieder auf und schlug wild mit dem Schwanz.
    Renn ging rasch zu ihr. Was mochte die Wölfin gefunden haben? Als sie näher kam, stellten sich ihr die Härchen an den Unterarmen auf. Jemand hatte ein Schneeloch gegraben und ringsumher waren unzählige Pfotenspuren zu sehen. Sie waren riesengroß. Nicht die von Wolf.
    Voller böser Ahnungen kroch sie in den Unterschlupf.
    In dem beengten Raum war ihr Atem plötzlich sehr laut. Ihre Hände fanden einen Köcher voller Pfeile. Ein Esspaket. Einen Vorratsbeutel. Einen Schlafsack, zerwühlt und steifgefroren.
    Einen Bogen.
    Sie zog einen Fäustling aus und fuhr mit den Fingern über das eiskalte Holz. Da! Das gezackte Waldzeichen, das Torak letzten Sommer eingekerbt hatte. Es passte zu jenem Zeichen, das seine Mutter vor langer Zeit in das Medizinhorn geritzt hatte.
    Renn setzte den Bogen ab. Ihr war übel. Die Wahrheit lag vor ihr, eisverkrustet. Torak war vor einiger Zeit aus seinem Lager gekrochen und hatte seine Ausrüstung zurückgelassen. Er war nicht wieder zurückgekehrt.
    Renn schob sich rückwärts aus dem Unterschlupf nach draußen und würgte.
    Dunkelfell winselte und jagte weiter zum Rand des Geröllhangs, wo sie stehen blieb und aufmerksam lauschte.
    Zitternd richtete Renn sich auf.
    Dunkelfell beachtete sie nicht, sondern lief winselnd im Kreis, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Dann rannte sie den Hang hinab.
    »Dunkelfell!«, rief Renn ihr hinterher, die Stimme halb erstickt vor Entsetzen. »Komm zurück!«
    Das Prasseln der Kiesel wurde leiser, bis nichts mehr zu hören war. Dunkelfell war verschwunden.
    Renns Hand wanderte verstohlen zu den Federn ihres Totemtieres. Jetzt war sie ganz allein auf dem Berg der Geister.
    Im Licht der Sterne konnte sie den Pfad, der in die Felsspalte und dann wieder hinausführte, nur halb erahnen; die Schwaden von Schneegestöber zogen nach Osten.
    Als sie die Spalte betrat, stolperte sie über etwas. Es war am Boden festgefroren. Sie musste es losreißen.
    Es war Toraks Axt.
    Renn wusste sofort, was geschehen war. Er war durch die schmale Felsspalte nach oben geklettert, um Eostras Meute zu entkommen. Dann war er gestürzt. Im aufgewühlten Schnee war die Schleifspur zu sehen, wo man seinen Körper weggeschleppt hatte.
    Renn ließ die Axt fallen und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. »Torak!«, brach es aus ihr heraus. »Torak! Torak!« Der Name hallte wider und wider. Torak! Torak! Dann verklang er langsam im Berg.
    Am oberen Rand der Felsspalte tauchte ein Gesicht auf, das zu ihr herabspähte.
    Sofort hatte Renn einen Pfeil aus dem Köcher

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