Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
trat auf das Kloster zu. Bereits nach wenigen Schritten spürte Nando die Kraft des Schutzwalls, der sich um das Gebäude zog, und hörte die Worte, die Avartos murmelte. Die Luft begann zu flirren, plötzlich wurde es hell um sie herum, als wären sie in ein weißes Feuer geraten, und Nando kämpfte die Anspannung nieder. Funken durchzogen seinen Körper, als würde er aus Nebel bestehen, aber sie fügten ihm keinen Schaden zu. Noemi hatte die Fäuste geballt, Abscheu stand in ihrem Blick, doch auch sie wurde von den Flammen des Walls nicht aufgehalten. Avartos ging ihnen voraus, die Funken umspielten auch ihn, ehe das Licht seinen Glanz verlor und die Dunkelheit zurückkehrte. Kühl fiel der Schatten Aeresons auf Nandos Gesicht.
Noch nie zuvor hatte er Mauern von solcher Schwärze gesehen, und als Avartos den Stein berührte, ging ein Schimmer über seine Finger wie die Bewegung von Wellen. Seine Worte wurden lautlos, aber Nando konnte ihre Macht fühlen. Selten hatte er Avartos so alte Zauber wirken sehen wie nun, da er die Dunkelheit Aeresons anrief, und er meinte, die Stimmen der Ersten Engel zwischen den düsteren Silben hören zu können. Avartos neigte den Kopf, als würde er sich verbeugen, und ein silberner Schein glitt durch die Finsternis unter seinen Händen. Es sah aus, als wäre die Mauer ein Brunnenschacht, in den jemand ein Licht geworfen hatte, das fiel und fiel, ohne aufzukommen. Avartos trat vor. Die Dunkelheit schloss sich um ihn wie Wasser, und ehe ihn die Zweifel überkommen konnten, folgte Nando ihm.
Die Finsternis der Mauer legte sich als eisiger Sturm auf sein Gesicht, und erst als er plötzlich verstummte, blieb Nando stehen. Er fühlte Avartos und Noemi neben sich, und Kaya grub ihre Krallen angespannt in seine Schulter, doch er konnte nichts sehen. Um ihn herum herrschte absolute Dunkelheit. Ein Windstrom strich durch sein Haar, und er spürte die Kälte der Luft, die von hohen Decken kündete und uraltem steinernem Boden. Er sank in seinen Oreymon, und kaum dass ihn das klare Licht umgab, zog ein goldener Schimmer über seine Augen und nahm die Blindheit mit sich. Aus Schatten, die wie wehende Tücher ineinanderglitten, bildeten sich die Konturen eines Saales heraus. Er sah aus wie ein Kirchenschiff, doch anstelle der Fenster gab es nichts als wehende Nacht, und Nando fragte sich unwillkürlich, woher der Wind kam, der geisterhaft über den ausgetretenen Boden strich.
Dieses Gebäude ist lebendig , flüsterte Noemi. Ihre Finger bewegten sich im Wind, als würde sie verborgene Worte in ihm ertasten. Es hat ein Herz.
Und als würde die Dunkelheit ihr Antwort geben, glomm das silberne Licht durch die Wände und zog sich dann von ihnen zurück, so schnell, dass Nando beinahe körperlich nach vorn gezogen wurde. Wortlos folgten sie ihm, bewegten sich durch verlassene Räume, in denen nur vereinzelt zerschlissene Möbel standen, und Nando spürte, wie die Stille dieses Ortes mit jedem Schritt in ihn hineinsank. Es schien ihm, als wäre er in einen seiner Träume geraten, in dem er durch Wüsten und endlose Korridore lief, ohne jemals sein Ziel zu erreichen. Er beschleunigte seine Schritte, als würde dort im Silberschein etwas auf ihn warten, das jede Unruhe, jede Schwäche in ewigem Eis verbrennen konnte.
Die Dunkelheit um sie herum begann zu tanzen, als sie einen langen Korridor erreichten, und dort an seinem Ende, hinter den gewaltigen Statuen zweier Engelskrieger, ergoss sich samtenes Licht auf die Steine. Nando hielt den Atem an, als sie in seinen Glanz traten. Vor ihnen lag der Hauptsaal des Klosters. Verschiedenfarbige Säulen trugen eine hohe Decke, uralte Zeichen erzählten an den Wänden von der Geschichte dieser Festung. In der Mitte erhob sich ein Altar, und darauf stand ein kristallener Schrein, der das silberne Licht verströmte. Instinktiv tasteten Nandos Sinne den Raum ab, er lauschte auf jedes Geräusch, doch seine Augen wandten sich nicht für einen Wimpernschlag von dem Schrein ab. Langsam trat er näher, flankiert von Noemi und Avartos. Er fühlte kaum mehr Kayas Herzschlag an seinem Hals. Das Licht blendete ihn, aber er konnte nicht den Kopf neigen. Er musste wissen, was sich in diesem Glanz verbarg.
Die Kraft seines Oreymons trieb ihn voran, als würde sie sich mit dem Glanz des Schreins vereinen wollen. Langsam trat er auf den Altar zu, das silberne Licht flammte auf und legte sich auf sein Gesicht, und er schauderte nicht, als es in ihn eindrang. Er sah die Nacht
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