Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
davor zurückzuschrecken. Lediglich Carmenya bewegte sich ungerührt durch die Finsternis, die Hand mit dem Flammenzauber hoch erhoben. Schwach glänzte das Amulett, das sie um den Hals trug. Wenn es sich grün verfärbte, blieb sie stehen und öffnete ein Portal in den Wänden, bis sie schließlich einen anderen Bereich der Katakomben erreichten.
Die Wände waren von rätselhaften Zeichen bedeckt, und vereinzelt zogen sich tiefe Risse durch den Boden, die so weit hinabführten, dass hineinfallende Steine lange nicht aufschlugen. Klebrige Stimmen hallten durch ein riesiges Geflecht an Kammern und Korridoren, und bald bemerkte Nando die schemenhaften Gestalten, die ihnen nachglitten – Kreaturen, die schon seit sehr langer Zeit kein Licht mehr gesehen hatten und die danach gierten, warmes Blut und Fleisch zwischen den Zähnen zu spüren. Avartos hatte schon vor einer Weile die Hand auf sein Schwert gelegt, und als die Wesen dichter herankamen, schickte Nando einen Abwehrzauber in seine Faust, der kurz halb zerfressene Schädel erleuchtete. Mit einem Knurren wichen die Gestalten zurück, gerade weit genug, um der Kraft des Zaubers zu entgehen.
»Was sind das für Wesen?«, fragte Noemi, während sie die Hand für einen Eiszauber hob. Hinter ihr glommen die Fratzen auf, dicht an dicht standen sie in der Dunkelheit, als würden sie nur darauf warten, über sie herzufallen.
»Verfluchte Seelen«, erwiderte Avartos. »Ich hörte davon, dass sie in den vergessenen Bereichen der Katakomben hausen sollen, jenen Gängen, die vor langer Zeit verloren gingen und der Bekannten Welt nur noch auf geheimen Wegen zugänglich sind. Sie sind weit vor den Kriegen entstanden, damals, als es noch keinen Unterschied gab zwischen Engeln und Dämonen.«
Carmenya ließ das Feuer in ihrer Hand heller leuchten, worauf die Wesen schmerzerfüllt aufschrien und weiter zurückwichen. »Seelen«, sagte sie mit hörbarem Spott. »Was wisst Ihr von diesem Begriff, Sklave des Lichts? Gehört Ihr nicht zu jenen, die seine Bedeutung leugnen? Seid Ihr nicht einer von den Kriegern, die sich vor den Geheimnissen der Finsternis fürchten und deshalb versuchen, ihr jedes Wunder auszutreiben? Es wird Euch nicht gelingen. Denn ohne die Geheimnisse der Welt, das fühlt selbst Ihr, würde sie aufhören, sich zu drehen.«
Sie hielt inne und schaute ohne jede Abscheu in Richtung der wispernden Kreaturen. »Nein, Engel des Lichts«, sagte sie dann. »Es gibt mehr zwischen den Welten, als ein Geist wie der Eure sich erträumen kann, und diese Geschöpfe gehören dazu. Einst waren sie Wächter, Hüter über verborgene Reiche, die zwischen den Fronten der Kriege zerrieben wurden. Weder Engel noch Dämon noch Mensch oder Tier waren sie, und einst beschützten sie uns alle, am meisten vor uns selbst. Doch dann kamen der Zorn und der Hass, und beide vernichteten, was einst so wichtig gewesen war. Seither leben diese Geschöpfe im Verborgenen, in den Grenzgebieten zwischen den Welten. Früher haben wir ihnen unser Leben anvertraut, doch nun … nun müssen wir sie fürchten. Sie haben sich selbst verloren – so wie wir uns verloren haben.«
Sie ging in die Knie. Murmelnd presste sie ihre Hand mit dem Zauber auf den Boden, worauf ein Netzwerk aus Ritualzeichen über den Stein kroch und sich zu einem flackernden Feuer entfachte. Nando spürte die Kraft, die sich in den Flammen entwickelte. Es war, als würde das Feuer uralte Magie aus den Zeichen im Boden ziehen, und es trieb die seltsamen Wesen so weit in die Gänge zurück, dass nichts mehr von ihnen zu hören war. Carmenya ließ sich auf den Steinen nieder, ihr Blick ruhte auf den Flammen.
»Setzt euch«, sagte sie. »Mein Feuer muss erst seine ganze Kraft erreichen, ehe wir unseren Weg fortsetzen können.«
Avartos maß sie mit seinem Blick, ehe er ihrer Aufforderung Folge leistete. »Wie wäre es, wenn Ihr die Zeit nutzen würdet, um uns über einiges aufzuklären?«
Carmenya sah ihn nicht einmal an. »Ihr kennt die Geschichten der Menschen über Bienen und Blumen«, erwiderte sie ungerührt. »Meint ihr Aufklärung in diesem Sinn?«
Kaya lachte auf, leise nur, doch laut genug, um Avartos die Brauen zusammenziehen zu lassen. Nando ließ sich neben dem Feuer nieder, der Schein legte sich warm auf seine Haut.
»Ihr kennt diese Gänge gut«, sagte er nach einer Weile. »Seid Ihr schon oft hier gewesen?«
»Oft genug«, erwiderte Carmenya.
»Und Ihr wisst wirklich, wo Hadros sich aufhält?«, fragte er
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