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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Schläuche steckten in seinem Oberkörper. Seine Schwingen, von tiefen Schmissen überzogen, ragten hinter ihm auf. Wenig schien diese Kreatur noch mit dem Engel gemein zu haben, den sie gesucht hatten, und doch erkannte Nando ihn sofort. Das schmale, ausgezehrte Gesicht, der strenge Mund, in dessen Winkeln Schatten tanzten, als würden sie nur darauf warten, zu einem Fluchzauber geformt zu werden, und die vernarbten, kräftigen Hände, die wie Klauen auf den Lehnen des Throns lagen und auf denen in verschlungenen Zeichen die Wunden der Dämonenfeuer klafften, schwarz wie gefrorenes Blut. Mit diesen Händen hatte er Bhalvris geführt, damals in der Schlacht von Bhrakanthos, mit diesen Händen hatte er den Teufel verwundet, den größten Feind des Lichts, und seine Macht strömte wie ein Versprechen aus jeder Pore seines Körpers. Nando nickte unmerklich. Vor ihm saß Hadros – der mächtigste Engelskrieger der Welt.
    Er merkte selbst nicht, dass er einen Schritt auf den Engel zutrat, aber kaum dass der Glanz des Throns seine Haut berührte, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Carmenya befahl ihn flüsternd zurück, doch es war schon zu spät. Eine Regung ging durch Hadros’ Leib, dicht gefolgt von einem Stöhnen, das so tief war, dass der Boden erzitterte. Langsam hob der Engel den Kopf. Nando hörte kaum Noemis unterdrücktes Keuchen, er fühlte nur undeutlich, wie Kaya auf seiner Schulter erstarrte. Alles, was er in schmerzhafter Klarheit wahrnahm, war der Blick des Kriegers aus tiefschwarzen Höhlen, in denen einst goldene Augen gewesen waren. Die Erkenntnis glitt eiskalt seinen Rücken hinab. Hadros, der stärkste Jäger der Welt, war dem Weg der Mönche gefolgt. Er war blind.
    Narren.
    Die Stimme des Engels hallte in Nando wider. Carmenya hob beschwichtigend die Hände.
    »Vater«, sagte sie kaum hörbar. Hadros sah in ihre Richtung, Nando konnte nicht sagen, ob eine Regung über seine Züge ging oder ob sich nur das Licht des Throns in seinen Augenhöhlen sammelte. »Ich kam nicht grundlos zu Euch in die Schatten. Die Mächte des Bösen sind erwacht, und wir … «
    Mit herrischer Geste riss Hadros den Kopf zurück und verbot ihr jedes weitere Wort. »Ich weiß, was geschehen ist«, entgegnete er dunkel. »Und es geht mich nichts mehr an!«
    Sein Blick flog über sie hinweg, umfasste Noemi und Avartos und dann Nando. Nando spürte, dass Hadros alles andere als blind war, im Gegenteil: Vielleicht hatte er seit sehr langer Zeit nichts anderes mehr getan, als zu sehen. Der Blick fuhr ihm in sein Innerstes, las in ihm, erkannte ihn – und für einen winzigen Moment flammte etwas über Hadros’ Gesicht, das mehr war als Zorn oder Kälte. Nando fand das Wort nicht sofort, und ehe es sich in ihm formen konnte, richtete der Engel sich auf und deutete auf seine Tochter.
    »Du bringst die Hölle zu mir«, grollte er. »Und du erwartest, dass ich euch helfe bei einem aussichtslosen Unterfangen?« Sein Lachen klang grauenvoll verzerrt von den Wänden wider. Abrupt brach es ab, tiefe Furchen zogen sich durch Hadros’ Gesicht, als er Nando ansah. »Ihr seid umsonst zu mir hinabgestiegen«, flüsterte er.
    Mit einer Bewegung, die zu schnell war für Nandos Augen, sprang Hadros auf die Beine und riss sich die Schläuche aus dem Leib. Laskantin ergoss sich in den Raum, und der Schrei des Engels riss den Boden auseinander. Nando fiel hinein in die Schatten wie in zwei leere Augenhöhlen. Er fühlte noch die Kälte, die ihm nachjagte, und dachte etwas Seltsames: Niemals würde er aufschlagen in dieser Finsternis. Dann drang der Frost des Engels in ihn ein, und er wusste nichts mehr.

21
    Der Stein war rau und kalt unter Nandos Händen. Kurz fragte er sich, wo er war, doch dann kehrte die Erinnerung mit einer Wucht zurück, die ihn auf die Beine trieb. Taumelnd rappelte er sich hoch und stieß sich den Kopf an der niedrigen Decke des Ganges, in dem er gelegen hatte.
    »Keine Sorge«, murmelte Avartos. Er hockte neben einem schwachen Feuer am Boden und bewegte die Finger über Noemis Stirn, die ein blutiger Kratzer zierte. Offensichtlich hatte der Kältezauber ihr so stark zugesetzt, dass sie sich bei dem Sturz den Kopf angeschlagen hatte. »Wir sind alle noch am Leben.«
    Carmenya lehnte etwas abseits an der Wand und warf ihm einen düsteren Blick zu. »Ihr wolltet zu ihm, oder etwa nicht? Ich habe euch gewarnt, aber ihr wolltet nicht hören. Dabei sind wir noch glimpflich davongekommen, wir hätten auch …

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