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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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Polen wahrgenommen: »Vor 1945 gab es hier für mich nur Deutsche. « Nun ging sie in die polnische Schule und lernte die Sprache so gut, dass später keiner mehr merken sollte, wo sie herkommt. Auch nicht bei der Arbeit in der ehemals deutschen Schichau-Werft, die nun Lenin-Werft hieß. Selbst zu Hause mit den Kindern sprach sie nie Deutsch, »aus Angst, sie könnten sich in der Schule verplappern und wir würden bestraft«. »Hätten wir damals gewusst, dass wir hier mal eine Minderheit gründen werden!«, sagt Joachimiak, 77. Sie sitzt aufrecht, tadellos gekleidet und geschminkt im Saal des Minoritätenbundes, den alte deutsche Danziger 1990 nach der Wende gründen durften. In der Zimmerecke steht die deutsche Fahne.
    Das Haus, in dem die deutsche Minderheit nun ihren Sitz hat, war mal ein deutsches Hotel. Manchmal bleiben Besucher
aus Deutschland auf der Straße stehen und rufen: »Da hab ich immer getanzt, es war herrlich!« Solche Heimwehtouristen kamen häufig in den achtziger und neunziger Jahren nach Danzig. »Sie wollten ihr Elternhaus noch mal sehen, ihre Schule, die Kirche, wo sie getauft wurden«, berichtet der Stadtführer Marian Fifielski. Er hat längst ein neues Spezialgebiet: Danzig, die Grass-Stadt. Nicht nur in der »Blechtrommel« wurde sie zur Heimat seiner Romanfiguren.
    Fifielski ist ein wandelnder Grass-Atlas: Hier im Spielwarenladen hat Oskar Matzerath seine Blechtrommel bekommen, in der polnischen Post arbeitete Jan Bronski, der Geliebte der Mutter, da war die preußische Petri-Schule, wo nicht nur Grass, sondern auch Ministerpräsident Donald Tusk zur Schule ging – mit Fifielskis Frau. An manchen Häusern blättert Farbe ab, darunter kommen alte deutsche Schriftzüge zum Vorschein, wie »Caffee, Tee, Biscuits, Chocolaten« am Eckladen gegenüber der Werft. »Achtung«, ruft Fifielski, »gleich kommt die Kapelle, wo Mahlke aus ›Katz und Maus‹ als Ministrant diente.« Wir fahren vorbei an der Maiwiese, wo Oskar eine Nazi-Kundgebung in Walzertakt versetzt, am Marktplatz, wo sich die Großmutter warme Ziegel unter die Röcke schieben ließ, bis zum Elternhaus im Labesweg 13, heute »Ulica Lelewela«. Es ist DDR-grau und niedrig, im Erdgeschoss gleich rechts liegt die Zwei-Zimmer-Wohnung, in der Grass aufwuchs. Schon lange wohnen hier polnische Mieter, aber noch immer gibt es das Klo im Treppenhaus, für das Grass sich so schämte, dass er keinen Freund zum Spielen zu sich einladen wollte.
    Grass verließ Danzig 1944 als 17-Jähriger auf dem Weg an die Front. Nun ist er ihr Ehrenbürger, das änderte sich auch nicht, als er 2006 verspätet bekannte, er habe der Waffen-SS angehört. Einige, wie Walesa, waren zornig, doch sie vergaben ihm nach einem reumütigen Brief an die Bürger von Gdansk.
    Der Schriftsteller Chwin hat ihn verteidigt. Er hält Grass’ Verdienste für größer als das Versäumnis. »Die Blechtrommel«, mit der Grass Danzig immerhin zur Weltliteratur erhob, hatte er als junger Intellektueller in einem verschmutzten Raubdruck verschlungen. Auch die Schlöndorff-Verfilmung 1979 war illegal – er sah sie in einer Privatvorführung des örtlichen Parteisekretärs. »Die Partei dachte, mit solchen Gunstbeweisen könne sie uns Autoren ködern.«
    Die deutsche Vergangenheit Danzigs gehörte zu den Tabus im kommunistischen Polen, Chwin trug dazu bei, es zu brechen. Schon früh begann er aufzuspüren, »was in Danzig von Deutschland übriggeblieben war«. In seinem Roman »Tod in Danzig« (1995) beschreibt Chwin fast liebevoll den dramatischen Exodus der Deutschen 1945 aus Danzig – und wie in ihre Wohnungen mit bezogenen Betten und gefüllten Schränken dann heimatvertriebene Polen einziehen. Auch Chwins Eltern waren Flüchtlinge. Seine Mutter kam aus Warschau, wo sie als Krankenschwester die Gräuel des brutal niedergeschlagenen Aufstands erlebt hatte, sein Vater aus Wilna, wo er vor der Roten Armee geflohen war. In einem Wohnhaus für Arbeiter der Schichau-Werft wuchs Chwin auf. Eines Tages, erzählt er, klopfte ein älteres deutsches Paar an die Tür. »Schweigend standen sie in der Mitte des Zimmers, schauten wortlos auf das Fenster, die Fensterbank, auf die Heizung, den Fußboden, auf die Türklinke. Ich fühlte mich wie auf frischer Tat ertappt.« Nutzte man nicht ein Haus, das einer deutschen Familie weggenommen worden war? Menschen, die vielleicht mit den Hitlerverbrechen gar nichts zu tun hatten? Die Wohnung habe ja leer gestanden, beruhigte er sein

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