Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
neun Tage darauf.
Über Polen senkte sich der Alptraum einer Besatzung, die mehr als fünf Jahre währen sollte. Länger als in irgendeinem anderen eroberten Land konnten hier die Nationalsozialisten durchexerzieren, wie sie mit in ihren Augen »rassisch minderwertigen« Menschen verfahren.
Als Vollstrecker setzte Hitler den 39-jährigen Juristen Hans Frank ein, seit 1923 Mitglied der NSDAP und brutaler Verfechter ihrer Rassenideologie. Frank regierte als »Generalgouverneur« in Krakau ein Rumpfpolen, nachdem der Westen Polens – so groß wie Bayern und Hessen zusammen, mit
etwa zehn Millionen Einwohnern – dem Deutschen Reich einverleibt worden war; den Osten des Landes hatte, gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt, die Rote Armee besetzt. Ungeniert prahlte Frank mit seinem Schreckensregiment, das sich von der vergleichsweise gemäßigten Praxis im »Protektorat Böhmen und Mähren« unterscheiden sollte. Einem Journalisten vom »Völkischen Beobachter« sagte er 1940: »In Prag waren zum Beispiel große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, dass heute sieben Tschechen erschossen worden sind.« Da habe er sich gesagt: »Wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.«
Deutsche Soldaten begingen in Polen von Anfang an Kriegsverbrechen. Ein Soldat des Infanterieregiments 41 notierte: »Überall werden polnische Zivilisten und Soldaten herausgezogen. Als die Aktion beendet ist, brennt das ganze Dorf. Am Leben bleibt niemand, haben auch alle Hunde erschossen.« Die Wehrmachtsoldaten, die über keinerlei Kriegserfahrung verfügten, sahen überall Heckenschützen und eröffneten übereilt das Feuer – oft auf Kameraden. Sobald polnische Soldaten nur auf sie schossen, steckten sie als Vergeltung ganze Dörfer in Brand oder nahmen Geiseln und erschossen diese.
Walter Wessel, Oberst der 29. motorisierten Infanteriedivision, befahl nach einem Gefecht bei Ciepielów, 300 gefangenen polnischen Soldaten die Uniformjacken auszuziehen – und ließ sie als Partisanen erschießen. Juden wurden während des »Polenfeldzugs« noch nicht systematisch verfolgt. Doch immer wieder brach sich der Antisemitismus deutscher Soldaten Bahn. Im Kriegstagebuch eines Maschinengewehr-Bataillons heißt es: »Sämtliche männlichen Einwohner stehen in einem großen Viereck unter Bewachung.
Eine Ausnahme bilden nur die Juden. Diese stehen nämlich nicht, sondern sind angehalten, im Knien ein Dauergebet zu verrichten.«
An dem Tag, als sich die letzten polnischen Soldaten ergaben, verkündete Hitler vor dem Reichstag, dass er »eine neue Ordnung der ethnografischen Verhältnisse« in Europa schaffen werde. Die Führung bei diesem Projekt übertrug er dem Reichsführer SS Heinrich Himmler, der nun auch »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« wurde. Himmler ließ einen Generalplan Ost ausarbeiten, der die deutsche Kolonisierung bis zum Ural vorsah. Der Osten sei von jeher »deutscher Schicksalsraum gewesen«, verkündete Joseph Goebbels. Der Propagandaminister prophezeite: »Harte Bauerngeschlechter werden im Osten die Wacht halten.« Die Siedler sollten, so der SS-Führer Reinhard Heydrich, als Bollwerk gegen die »Sturmflut Asiens« dienen. Der annektierte westliche Teil Polens sollte schnell »entpolonisiert« und »eingedeutscht« werden. Rund acht Millionen Juden und Polen sollten dafür ins Generalgouvernement verschoben werden. An ihrer Stelle sollten Volksdeutsche aus dem Baltikum, aus Wolhynien und Galizien dort angesiedelt und so ins Reich »heimgeholt« werden. Ein Mitarbeiter des Deutschen Auslandsinstituts führte aus: »Kommen zum Beispiel mit einem Einwanderertransport aus dem Baltikum 20 deutsche Bäckermeister, so müssen in Posen und im übrigen Warthegau 20 polnische Bäckereien evakuiert werden.« Nur einen Koffer durfte jeder der ins Generalgouvernement Deportierten bei sich tragen, »pro Pole eine Decke (keine Betten)«. Wertpapiere und Wertsachen mitzunehmen war generell verboten, »mit Ausnahme des Eherings«. Himmler ordnete an, die in den annektierten Ostgebieten lebenden Menschen rassisch zu klassifizieren. Auf einer »Deutschen Volksliste« wurden die angeblich Deutschstämmigen in
vier Gruppen eingeteilt. Diese reichten von bekennenden Deutschstämmigen, die sofort eingebürgert wurden, bis hin zu Polen, die man für »eindeutschungsfähig« hielt und in der Regel zur
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