Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
»Erziehungsarbeit« ins Altreich deportierte. Sie bekamen die deutsche Staatsbürgerschaft auf Bewährung.
Ziel der Nationalsozialisten war es, die Polen in ein Volk von Sklaven zu verwandeln. Himmler schrieb im Mai 1940 »über die Behandlung der Fremdvölkischen«: »Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule.« Deren Ziel habe zu sein: »Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein.« Lesen, so der Reichsführer SS zum künftigen Curriculum für Polen, »halte ich nicht für erforderlich«. Hitler erklärte im Oktober 1940, dass »alle Vertreter der polnischen Intelligenz« umzubringen seien. SS-Gruppenführer Heydrich instruierte die Chefs der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, die verbliebenen Vertreter des »politischen Führertums« der Polen müssten »unschädlich gemacht werden und kommen ins KZ«. Heydrich sorgte auch dafür, dass sofort Listen angelegt wurden, auf denen »Lehrer, Geistlichkeit, Adel, Legionäre, zurückkehrende Offiziere usw.« erfasst wurden.
Neben Gutsbesitzern stand der einflussreiche katholische Klerus im Visier der neuen Herren. Allein in der westpreußischen Diözese Kulm-Pelplin ermordeten Deutsche 214 Geistliche. In Westpreußen sägten protestantische Volksdeutsche Kreuze der Katholiken ab und demolierten Marienstandbilder. Der Kampagne gegen die Intelligenz fielen rund 60 000 Polen zum Opfer.
Im Herbst 1939 herrschten in dem besetzten Land oft planloser Terror und Willkür. Der Distriktschef von Radom drohte zum Beispiel mit der Todesstrafe, wenn jemand
Bäume im Wald fällte, um an Brennholz zu kommen. Im ganzen Land liquidierten SS- und Polizeitrupps nach eigenem Gutdünken angebliche polnische Nationalisten. Mit Umsiedlungen und Vertreibungen erzeugten Himmlers Volkstumskämpfer Angst, Unruhe und Chaos.
Am schlimmsten traf es bald die Juden. Fast zwei Jahre bevor im »Altreich« der gelbe Stern auf der Kleidung vorgeschrieben wurde, mussten Juden in Polen weiße Armbinden mit blauem Davidstern tragen. SS-Planer Heydrich hatte schon am 21. September 1939 angeordnet, »das Judentum« in den Städten »im Ghetto zusammenzufassen, um eine bessere Kontrollmöglichkeit und später Abschubmöglichkeit zu haben«. Das erste große Ghetto errichteten die Besatzer in Lodz, das sie in Litzmannstadt umbenannten, im »Reichsgau Wartheland«, für dessen »Eindeutschung« 3,7 Millionen Polen und 400 000 Juden umgesiedelt werden sollten. Regierungspräsident Friedrich Uebelhoer ließ Ende April 1940 auf zunächst vier Quadratkilometern 144 000 Juden zusammenpferchen; im Schnitt mussten sich im Lodzer Ghetto sechs Menschen einen Wohnraum teilen.
Mitte November 1940 schufen die Besatzer das Ghetto in Warschau mit mindestens einer halben Million Bewohnern. Bald starben in dem »Judenreservat« monatlich mehr als 5000 Menschen an Hunger, Fleckfieber und anderen Seuchen. Der italienische Schriftsteller Curzio Malaparte schrieb in seinem Roman »Kaputt«, dass Generalgouverneur Frank ihm die hohe Mauer des Ghettos gezeigt und gesagt habe: »Die Juden, die Ärmsten, sind alle brustkrank; diese Mauer schützt sie wenigstens vor dem Wind.« Mit der Errichtung des Lemberger Ghettos Ende 1941 waren die allermeisten polnischen Juden gefangen – und konnten nun der »Sonderbehandlung« zugeführt werden, wie die planmäßige Ermordung im Amtsdeutsch genannt wurde.
»Die Judenfrage muss im Laufe des Krieges gelöst werden«, schrieb Franz Rademacher, der Leiter des »Judenreferats« im Auswärtigen Amt, »da sie nur so ohne allgemeines Weltgeschrei erledigt werden kann.« Es ist kein schriftlicher Befehl Hitlers für die »Endlösung der Judenfrage« überliefert, doch spricht einiges dafür, dass der Diktator seine Entscheidung für die Vernichtung der europäischen Juden im Herbst 1941 gefällt hat. Generalgouverneur Frank fragte in Berlin nach, was mit den Juden geschehen solle. Daraufhin, so verkündete er Mitte Dezember 1941 seinem Kabinett in Krakau, habe man ihm erklärt: »Liquidiert sie selber.« Franks Konsequenz daraus: »Meine Herren, ich muss Sie bitten, sich gegen alle Mitleidserwägungen zu wappnen. Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen.«
Zügig wurden die Einrichtungen für den Massenmord geschaffen. Das erste Vernichtungslager ließ die SS im November
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