Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
1941 in Kulmhof/Chelmno bauen. Es folgten bis Sommer 1942 Todesfabriken in Auschwitz, Belzec, Sobibór, Treblinka und Majdanek. Die größten Schwierigkeiten bereitete die zunächst mangelhafte Tötungstechnik. SS-Männer vergifteten Juden anfangs in geschlossenen Lastwagen mit Auspuffgasen, aber das ging den Mördern nicht schnell genug. Die gewünschten Ergebnisse erzielten die SS-Experten dann bei der Vergiftung von sowjetischen Kriegsgefangenen und Polen in Auschwitz mit dem blausäurehaltigen Insektizid Zyklon B. Im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordete die SS mehr als eine Million Menschen. Himmlers Männer lieferten 33 Tonnen Gold – eingeschmolzene Ringe, Münzen und Zahngold – an die Reichsbank in Berlin.
Manche Polen sahen »eine eigentümliche Fügung göttlicher Vorsehung« im Judenmord, wie ein katholischer Priester meinte: »Neben so vielem Unrecht, das die Deutschen
unserem Land angetan haben und weiterhin antun, haben sie in dieser Hinsicht einen guten Anfang gemacht und eine Möglichkeit aufgezeigt, die polnische Bevölkerung von der jüdischen Plage zu befreien, einen Weg, der natürlich weniger grausam, jedoch konsequent vom dereinst befreiten Polen selbst einzuschlagen ist.«
Verbreiteter als Antisemitismus aber war unter Polen die Sympathie und Solidarität mit Juden. Im Generalgouvernement überlebten Zehntausende Juden die Besatzung. Die allermeisten waren von Polen versteckt worden, obgleich die Deutschen gewöhnlich die ganze Familie erschossen, wenn bei ihr ein Jude gefunden wurde. Schon bei geringen Vergehen wurden Polen als Zwangsarbeiter nach Deutschland geschickt; über zwei Millionen wurden so versklavt.
Die deutsche Besatzungspolitik in Polen war von Anfang an von einem unauflösbaren Widerspruch geprägt: Man kann nicht vernichten, was man ausbeuten will. Deutlich zeigte sich dieses Dilemma, nachdem Himmler befohlen hatte, Lublin und den Kreis Zamo zu einem deutschen »Großsiedlungsgebiet« im Generalgouvernement zu machen. Ende November 1942 begannen Polizisten mit der brutalen Evakuierung von über 100 000 polnischen Bauern, um Platz für 20 000 Volksdeutsche zu schaffen. Die Alten und Kinder wurden in »Rentendörfer« umgesiedelt, Arbeitsfähige zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt und angeblich »Minderwertige« und »Unzuverlässige« nach Auschwitz deportiert.
Die Polen flüchteten vor den Polizeitrupps in die Wälder, schlossen sich zu Widerstandsgruppen zusammen und machten das Generalgouvernement für Deutsche unsicher. Je unerträglicher die Unterdrückung und das Morden durch die Deutschen wurden, desto mehr Polen sagten sich, dass es besser sei, im Kampf zu sterben, als darauf zu hoffen, dem Verderben zu entgehen.
Die vernichtende Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad im Januar 1943 beflügelte den Widerstand im ganzen Land. Generalgouverneur Frank beklagte sich am 20. April 1943 beim Chef der Reichskanzlei: »Die Morde an den Deutschen nehmen in furchtbarer Weise zu; Züge werden überfallen, Transportwege unsicher gemacht.« Einen Tag zuvor hingen im Warschauer Ghetto Plakate an den Mauern: »Brüder, die Stunde des Kampfes und der Rache an den Okkupanten hat geschlagen. Wehrfähige, schließt euch alle den Kämpfern an! Greise und Frauen sollen Hilfsdienste leisten. Ergreift die Waffen!« Doch an Waffen mangelte es. Von den rund 1200 Aufständischen hatte nur etwa jeder zehnte eine Pistole; ihnen standen bald an die 2000 schwerbewaffnete Polizisten und SS-Männer gegenüber. Gegen die jüdischen Widerstandskämpfer setzten die Deutschen Flammenwerfer ein. Einen Monat lang führten die Aufständischen einen verzweifelten Guerillakampf gegen die Besatzer. Einige tausend Juden wurden sofort erschossen, etwa 50 000 kamen in den Gaskammern von Treblinka ums Leben. Am 16. Mai 1943 meldete Jürgen Stroop, der SS-Führer im Distrikt Warschau: »Das ehemalige jüdische Wohnviertel in Warschau besteht nicht mehr.«
Die Antwort der Deutschen auf das Erstarken des Widerstands war noch mehr Terror. In Warschau richteten sie von Oktober 1943 bis Juli 1944 insgesamt 2705 Polen öffentlich hin. Rund 4000 starben außerdem bei heimlichen Exekutionen. Generalgouverneur Frank erkannte allerdings, dass die Deutschen zahlenmäßig zu schwach waren, um die Polen dauerhaft durch ein Schreckensregiment zu unterjochen. Er sah ein, dass »dieser negative, ablehnende, vernichtende Kurs praktisch nicht mehr durchführbar« sei. Den Polen müsse eine Perspektive geboten
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