Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
in der NSDAP einst Stimmen gegeben hatte, die abrieten, die Sowjetunion anzugreifen. 19 Jahre zuvor, am 19. Februar 1926, hatte ein 28-jähriger Nationalsozialist auf einer Versammlung im Stadttheater von Königsberg eindringlich vor »Sirenengesängen vom heiligen Kreuzzug gegen den Bolschewismus« gewarnt und prophezeit: »Wenn Russland erwacht, dann wird die Welt ein Wunder sehen.« Der Redner hieß Joseph Goebbels.
»Wir werden sie zurückholen«
Als einziger Politiker des NS-Regimes äußerte sich Propagandaminister Joseph Goebbels im Rundfunk 1945 zum Verlust der Ostgebiete.
Auszüge:
Die allgemeine Kriegslage hat, rein militärisch gesehen – um damit zu beginnen –, durch die erfolgreiche Sowjetoffensive aus dem Baranów-Brückenkopf eine jähe Veränderung erfahren, und zwar zu unseren Ungunsten. Es ist den bolschewistischen Stoßarmeen, die die sowjetische Kriegsführung an diesem gefährlichen Punkt in einer erdrückenden Übermacht versammelt hatte, nach schwersten, blutigsten und verlustreichsten Kämpfen gelungen, tief in den deutschen Ostraum vorzudringen und damit für uns eine Situation zu schaffen, die ausgesprochen bedrückend ist … Wir befinden uns gegenwärtig in einer militärischen Krise, die in vielerlei Beziehung derjenigen ähnelt, die die Sowjetunion ihrerseits im Spätherbst 1941 bei der drohenden Umklammerung Moskaus und der Umschließung Leningrads verzeichnete, aber erfolgreich meisterte. Auch damals sah die ganze Welt ihre Sache für verloren an – mit Ausnahme der Sowjetführung selbst …
Um es kurz zu machen, können wir also die Feststellung treffen, dass das Missgeschick und Unglück, das über uns hereingebrochen ist, zwar sehr schmerzhaft ist, aber keinesfalls etwa die Preisgabe unseres Sieges und die biologische Auslöschung des deutschen Volkes bedeutet. So schnell schießen die Preußen nicht – oder für diesen Fall treffender gesagt: hören die Deutschen
nicht mit dem Schießen auf! Wir haben im Osten eine neue Verteidigungslinie aufgebaut, die sowohl für die aktuellen Zwecke wie auch für kommende Operationen nur improvisierten Charakter trägt. Es ist klar, dass wir uns die Gebiete, die wir verloren haben, zurückholen werden und müssen. Wann und wie – darüber kann natürlich heute öffentlich noch nicht gesprochen werden. Aber unsere Entschlossenheit dazu ist fest und unerschütterlich …
Propagandaminister Joseph Goebbels während einer Rede
(undatierte Aufnahme)
Jeder Deutsche weiß, dass die Schreckensberichte aus dem Osten, die vielfach so scheußlich sind, dass die Feder sich sträubt, sie wiederzugeben, keine Phantasieprodukte der deutschen Kriegsagitation, sondern schaurige Wahrheit darstellen, die das Blut in den Adern erstarren lässt.
Rundfunkansprache am 28. Februar 1945, vollständig in: Helmut Heiber (Hg.): »Goebbels Reden 1932 – 1945«, Düsseldorf 1971/72.
Breslauer Apokalypse
Als »Festung« verteidigte sich die schlesische Landeshauptstadt fast drei Monate lang gegen die Rote Armee.
Von Uwe Klußmann
Der Feind sitzt mitten in der Festung. Die hektografierten Flugblätter, welche die Geheime Staatspolizei Karl Hanke, dem niederschlesischen NSDAP-Gauleiter und »Reichsverteidigungskommissar« von Breslau, im Februar 1945 vorlegt, sind eindeutig. Der Aufruf mit dem Titel »Der Freiheits-Kämpfer«, das »Organ der Freiheitsbewegung«, fordert: »Macht Schluss mit dem verlorenen Krieg!!! Richtet eure Waffen gegen die, die den Krieg verlängern«, und zwar »gegen Hitler und seine Terroristen«. Ein weiteres Flugblatt der kommunistischen Widerstandsgruppe versichert den Breslauern: »Habt keine Angst vor den Soldaten der Roten Armee.« Denn die kämen als Befreier. Gauleiter Hanke nimmt die Untergrundkämpfer so ernst, dass er öffentlich gegen sie polemisiert. In der »Schlesischen Tageszeitung« wettert er am 19. Februar gegen den »anonymen Wisch« und dessen »Agitationslügen«. Über die Rotarmisten, höhnt der frühere Staatssekretär im Reichspropagandaministerium, brauchte man »nur die in Breslau eingetroffenen Flüchtlinge zu befragen«. Auch sei es ein »plumper Schwindel«, wenn die Sowjets Flugblätter des »Nationalkomitees Freies Deutschland« (NKFD) in schwarz-weiß-roter Umrandung, den deutschen Reichsfarben, über der Stadt abwürfen. In einem NKFD-Flugblatt hatte Oberst Luitpold Steidle, später DDR-Gesundheitsminister, verkündet, Breslau könne »gerettet werden«, falls »die Stadt kampflos übergeben«
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