Die Deutschen
Hofstaat, die Generalität überbieten einander mit Schmeicheleien an die Adresse der bewaffneten Bürger, die der Stolz berauscht, sich derart öffentlich als eine der ausschlaggebenden Mächte des Staates anerkannt zu sehen. Unmittelbar darauf erscheint ein Erlaß, der den Arbeitslosen die bisher gewährte staatliche Unterstützung entzieht. Arbeiter veranstalten eine Demonstration, aber die Bürger von der Nationalgarde erklären sich für den ministeriellen Erlaß. Schließlich werden sie gegen die »Anarchisten« kommandiert und richten am 23. August ein Blutbad unter den Arbeitern an. Damit ist die Geschlossenheit der revolutionären Kräfte zerschlagen, und die Konterrevolutionäre sehen den Tag kommen, in dem sie zu ihrem letzten großen Schlag ausholen können.
Am 5. Oktober ist die kaiserliche Partei bereit, den oppositionellen ungarischen Reichstag durch einen Staatsstreich aufzulösen und die Truppen nach Ungarn einmarschieren zu lassen. Der Hof flüchtet in diesem Augenblick nach Olmütz in Böhmen, wo eine starke Armee unter dem Fürsten Windischgrätz seine Sicherheit garantiert. Das Volk, die akademische Legion und die Wiener Nationalgarde erheben sich am 6. Oktober und widersetzen sich dem Ausmarsch der Truppen. Einige Grenadiere gehen zu ihnen über. Zwischen den bewaffneten Revolutionären und den Truppen entspinnt sich ein kurzer Kampf, bei dem der Kriegsminister Latour erschlagen wird. Am Abend hat das Volk gesiegt. Inzwischen bekommt Windischgrätz Zuzug aus Böhmen, Mähren, der Steiermark, Oberösterreich und Italien. Regiment nach Regiment marschiert in Richtung Wien. Gegen Ende Oktober sind über 60000 Mann zusammengezogen; sie beginnen, Wien einzuschließen.
Die Kräfte, die zur Verteidigung Wiens verfügbar sind, sind gänzlich unzureichend. Von der Nationalgarde kann nur ein Teil auf die Schanzen gebracht werden. Im letzten Moment hat man eine proletarische Garde gebildet; aber der Versuch, auf diese Weise den zahlreichsten und tatkräftigsten Teil der Bevölkerung heranzuziehen, kommt viel zu spät; die Arbeiter sind mit dem Gebrauch der Waffen und mit den Gesetzen der Disziplin zu wenig vertraut, um erfolgreich Widerstand leisten zu können. So bleibt die akademische Legion – 3–4000 Mann stark, eingeübt, bis zu einem gewissen Grade diszipliniert, tapfer und voll Enthusiasmus – vom militärischen Standpunkt aus die einzige Streitmacht, die mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden kann. Doch was bedeuten diese revolutionären Streitkräfte gegenüber der an Zahl weit überlegenen regulären Armee unter Windischgrätz! Und was haben die Aufständischen, abgesehen von ein paar alten, abgenutzten, schlecht bedienten Kanonen, der zahlreichen, vorzüglichen Artillerie entgegenzusetzen, von der Windischgrätz rücksichtslos Gebrauch macht?
Je näher die Gefahr, desto größer wird die Verwirrung in Wien.
Der Reichstag kann sich nicht dazu aufraffen, die ungarische Armee zu Hilfe zu rufen, die nur wenige Meilen unterhalb der Hauptstadt lagert. Nur in einem Punkte sind sich alle einig: daß das Eigentum respektiert werden muß. Zur Ausarbeitung eines Verteidigungsplans geschieht wenig. General Bem, von Geburt Slawe, der einzige, der Wien retten könnte, gibt die Sache auf, erdrückt durch das Mißtrauen, das ihm alle entgegenbringen. Der Offizier Messenhauser, der die aufständischen Streitkräfte befehligt, ein Romanschriftsteller, ist seiner Aufgabe nicht gewachsen. Unter solchen Bedingungen beginnt der Kampf. In Anbetracht ihrer gänzlich unzureichenden Verteidigungsmittel und ihrer Ungeübtheit leisten die Wiener Revolutionäre einen nachgerade heroischen Widerstand. In den langen breiten Straßen, die die Hauptverkehrsadern der Vorstädte bilden, wird eine Barrikade nach der anderen von der kaiserlichen Artillerie weggefegt; am Abend des zweiten Kampftages fällt die Häuserreihe am Befestigungsrand der Altstadt in die Hände der Kroaten. Ein ungeordneter Entlastungsangriff der ungarischen Armee führt zu einer völligen Niederlage.
Als während eines Waffenstillstandes zu Verhandlungszwecken einige Abteilungen kapitulieren, andere unschlüssig sind und die Verwirrung vermehren und die Reste der akademischen Legion neue Verschanzungen anlegen, dringen die Kaiserlichen ein und nehmen in dem allgemeinen Durcheinander die Altstadt. Die unmittelbaren Folgen dieses Sieges sind standrechtliche Erschießungen und unglaubliche Grausamkeiten.
Wiens Bundesgenosse wäre das deutsche Volk.
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