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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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der Wiese bereit. Doch sobald das Turnier beendet war und die Ritter ihre Helme wieder abnahmen, richtete Marie ihren Blick auf Gaukler, auf Händler oder auch nur auf das grüne Gras. Sie wollte nicht in die blauen Augen sehen, keine Unruhe mehr empfinden. Beim abendlichen Gelage sang Bernard de Ventadorn nun ohne Begleitung. Marie vermutete, dass Jean mit den anderen Rittern herumzog. Da er nicht zum engen Kreis um Aliénor gehörte, spielten ihrer beider Leben sich in völlig verschiedenen Sphären ab. Das war gut so, sagte sie sich, auch wenn sie noch manchmal wehmütige
Erinnerungen an den Ausflug zum Hügel heimsuchten.
     
    Es war eines Abends im Empfangssaal, als der junge Henry sich plötzlich erhob und zu reden begann, ohne auf das Spiel des Troubadours zu achten.
    »Ich habe beschlossen, William, den Neffen des ruhmreichen Grafen von Salisbury, der so heldenhaft starb, um das Leben meiner Mutter zu retten, zum Befehlshaber meiner Truppe zu ernennen«, verkündete er laut.
    William sah sehr zufrieden, aber kaum überrascht aus. Er hatte die letzten Wochen meist an der Seite des Thronfolgers verbracht.
    »Es ist mir eine Ehre, Hoheit«, bedankte er sich sogleich. »Ihr seid der mutigste und begabteste junge Ritter, dem ich jemals dienen durfte.«
    Richard lächelte kurz und warf Meir wieder einen verschworenen Blick zu. Marie hatte ebenso wie alle anderen Anwesenden mitbekommen, dass Richard der bessere Kämpfer war, auch wenn er aufgrund seiner Jugend noch nicht an den Turnieren teilnahm. Aber Henry war empfänglicher für Schmeicheleien, und vielleicht hatte William sich deshalb auf seine Seite geschlagen. Richard schien willens, den Ritter seinem älteren Bruder zu überlassen. Auch Aliénor widersprach nicht.
    »William soll dir weiter dabei helfen, dich im Kampf zu üben, mein Sohn«, sagte sie zu Henry, der kurz das Gesicht verzog, denn er hörte offenbar nicht gern, dass er noch etwas zu lernen hatte. »Außerdem habe ich selbst eine Neuigkeit zu verkünden«, fuhr Aliénor fort. »Meine Tochter kommt nach Poitiers.«
    »Meint Ihr Matilda, Hoheit?«, fragte Marie als Einzige nach.

    »Nein«, erwiderte Aliénor kopfschüttelnd. »Es ist meine älteste Tochter, die ich damals mit Louis bekam. Ihr Name ist ebenfalls Marie. Als ich sie das letzte Mal sah, war sie ein kleines Kind. Nun ist sie fast dreißig und vermählt. Die Gräfin de Champagne.«
    Aliénor senkte kurz den Blick. Marie fragte sich, was einer Mutter angesichts eines derart späten Wiedersehens mit dem eigenen Kind wohl durch den Kopf gehen mochte, aber das stolze, ebenmäßige Gesicht der Königin war undurchdringlich wie stets. Bald schon plauderte sie wieder mit dem allgegenwärtigen Raoul de Faye.
    Marie zupfte ein weiteres Stück Schwanenbraten ab und holte eine Brise Salz von dem Teller, auf dem es für die Gäste bereitstand. In ihrem Kopf spann sie bereits ihre nächste Geschichte weiter. Eine Dame, die von vier Rittern verehrt wurde und nicht willens war, sich für einen zu entscheiden. Die Idee war ihr gekommen, als sie die kapriziöse Isabelle de Vermandois beim steten Kokettieren mit den Turnierkämpfern beobachtet hatte. Aliénors Nichte würde sicher großen Gefallen an einem solchen Lai finden. Auch Marie gefiel es, eine Frau, die so völlig gegen die Regeln der Keuschheit und Sittsamkeit verstieß, als unwiderstehlich und durchaus liebenswürdig zu beschreiben. Nur wollte ihr einfach kein passendes Ende einfallen. Es entsprach nicht dem Naturell dieser Dame, sich irgendwann auf einen Mann zu beschränken. Für solch eine Heldin brauchte Marie eine andere Lösung.
    Sie erwog gerade, ob die mit einem Hauch von Schalk verfasste Geschichte ein tragisches Ende vertragen würde, da berührte jemand sie am Ärmel. Marie wandte sich leicht verärgert um. Dank ihrer sehr schlichten, fast nonnenhaft strengen Aufmachung wurde sie von Rittern kaum beachtet. Es war auch keiner jener lauten Männer, der jetzt hinter ihr stand, sondern ein halbwüchsiger Junge im dunklen Gewand
eines Klerikers. Sein bleiches, mit roten Flecken übersätes Gesicht kam ihr irgendwie vertraut vor.
    »Ich habe eine heimliche Botschaft für die Damen«, flüsterte er heiser und drückte ihr schnell ein zusammengerolltes Pergament in die Hand, bevor er wieder verschwand. Marie legte ihre Finger um die Rolle und verbarg sie unter dem Tisch. Ihr war unwohl. Hoffentlich hatte niemand den Vorfall mitbekommen.
    »Was ist es? Lies vor!«, flüsterte Emma ihr

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