Die Dichterin von Aquitanien
Familie verraten worden war. Plötzlich ertappte Marie sich bei der Überlegung, wie sie Henri vielleicht Trost zusprechen konnte, doch hatte er sich auch schon energisch aufgerichtet. Trübsal war ein weiterer Feind, gegen den er sich zu wehren verstand.
»Richard ist der Sturste von ihnen, ganz das Kind seiner Mutter«, meinte er spöttisch. »Aber auch er wird schließlich um Frieden bitten, es ist nur eine Frage der Zeit. Wir brechen alle in einer Woche nach Barfleur auf und segeln dann nach England.«
Marie schluckte.
»Auch die Königin?«
»Natürlich auch die Königin. Ich kann sie nicht einfach in Chinon lassen, denn es ist zu nahe an Paris. Richard könnte mit letzten Mitteln ein Heer aufstellen, nur um sie zu befreien. Die Engländer halten zu mir. Ich habe ihnen nach langem Bürgerkrieg Frieden und Wohlstand gebracht. In ihrer Mitte ist mein liebendes Eheweib am besten aufgehoben.«
Marie schwieg. Sie wusste, dass sie selbst mit Engelszungen nichts an Aliénors Los würde ändern können. Nun musste sie um ihr eigenes Glück kämpfen.
»Emma habe ich untergebracht«, murmelte Henri, während er an seiner Speckscheibe nagte. »Sie wird zufrieden
sein. An der Seite eines unbedeutenden Grafen wie diesem Foulques hätte sie sich nur zur ewigen Nörglerin entwickelt.
Marie widersprach nicht. Vielleicht hatte Henri sogar recht.
»Aber nun zu dir, Marie.« Henri nahm einen weiteren Schluck Wein und wischte sich mit dem Ärmel seines Surcot den Mund ab. »Du bist irgendwie anders als die meisten jungen Damen. Magst lieber Bücher als schöne Kleider und Schmuck. Ist es nicht so?«
Sie nickte. Jetzt war es noch zu früh, ihr Anliegen vorzubringen.
»Ich würde dein Talent gern fördern. Aber eine junge Frau braucht einen Gemahl. Ich werde mich umsehen, sobald Cadell unter der Erde liegt und deine sicherlich schwere Trauerzeit vorbei ist.«
Das spöttische Blinzeln in seinen Augen machte Marie ihren Onkel für einen Moment sympathisch.
»Einen Mann, der wohlhabend ist und dir Bücher geben kann, werde ich schon für dich finden. Du solltest diesmal nicht in der Fremde verschwinden, sondern an meinem Hof bleiben.«
Der freundliche Plauderton ihres Onkels gab Marie Hoffnung, und sie sagte: »Euer Hoheit, es gibt bereits einen Mann, den ich gern heiraten würde.«
»Und wer sollte das sein?«
Marie nannte Jeans Namen. Sie gestand, dass er zunächst für Richard gekämpft hatte, denn das hätte Henri ohnehin bald herausgefunden. Dann erwähnte sie seine Anwesenheit in Chinon, ohne den wahren Grund dafür zu nennen. Es sollte so aussehen, als hätte Jean aus reiner Loyalität zum König schließlich die Seiten gewechselt. Sie erwähnte sein Kampfgeschick und sein Talent beim Harfenspiel, was ihn zu einem vollkommenen Höfling machte, versank völlig in ihrer
Rede, bis ein Schlag der königlichen Faust auf den Tisch ihrem Wortschwall ein Ende setzte. Henris Gesicht hatte einen roten Farbton angenommen.
»Ein mittelloser Ritter also! Der vierte Sohn eines Weinbauern.«
Marie fuhr auf.
»Ihr wart stets bereit, begabte Menschen einfacher Herkunft zu unterstützen!«
Thomas Becket fiel ihr ein, doch war es im Moment wohl unpassend, gerade ihn zu erwähnen.«
»Ja, ich fördere begabte Knaben, aber deshalb vermähle ich sie nicht mit einer Frau aus meiner Familie«, erwiderte der König mit beißendem Spott. »Ich mache mich vor aller Welt lächerlich, wenn irgendwelche Herzensangelegenheiten junger Dichterinnen meine Heiratspolitik bestimmen!«
Marie straffte entschlossen die Schultern. Ihr schien, dass sie ebenso leidenschaftliche Gegenwehr aufbringen musste, um nicht von dem Sturm königlichen Zorns niedergemäht zu werden.
»Wenn Ihr mich mit einem anderen Mann vermählen wollt, so werde ich diesmal bis zum letzten Moment laut protestieren. Und Ihr werdet niemals wieder eine Geschichte von mir zu lesen bekommen, denn ich stürze mich noch vor der Hochzeitsnacht von den Zinnen der Burg.«
Sie hatte so laut gesprochen, wie es der König selbst gern tat. Plötzlich empfand sie keine Furcht mehr, nur noch Zorn und jenen Mut, der aus Verzweiflung entstand.
»Welch eine Drohung! Dann hätte ich also meine Nichte auf dem Gewissen! Und eine Selbstmörderin dürfte ich nicht einmal mit dem Segen der Kirche begraben.«
Henri stieß ein kurzes Lachen aus. Allein eine kleine Falte zwischen seinen buschigen Brauen zeugte von Betroffenheit.
»Gut, ich werde dich also nicht in das Bett eines meiner
Vasallen
Weitere Kostenlose Bücher