Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
dachte sie müde. Die war bloß eine Gräfin, keine Kriegerin. Seit Nat Kyah mich besiegt hat, kann ich nicht mehr kämpfen.
» Ich verstehe, dass du enttäuscht bist«, meinte Bher. » Du dachtest, dein Name wäre wieder dein. Der Prinz hat dich belogen. Ist dir denn nie der Gedanke gekommen, dass er dir ein falsches Versprechen gab, nur um dich dazu zu bringen, dich auf diese Entführung durch den Drachen einzulassen? Es war der perfekte Weg, um dich loszuwerden und zugleich vor dem Dorf als Retter dazustehen. Es ist immer leicht, jemanden zu opfern, um den niemand weint.«
» Ich habe ihm geglaubt. Ich mag ihn nicht, aber ich hätte nicht gedacht, dass er ein Lügner ist.«
Doch sobald sie das Wort ausgesprochen hatte, traf sie ihre eigene Schuld wie ein Schwertstreich.
Und was tust du? Belüg den Prinzen und die Garde, belüg, wen immer du willst. Aber Bher und Mora verdienen die Wahrheit!
Sie konnte sie ihnen jedoch nicht anvertrauen, diese Wahrheit, die ihr wie bitteres Gift auf der Zunge lag. Allein der Gedanke daran, dass sie die Dienerin eines Drachen war, tat so weh, dass ihr Geist jedes Mal davor zurückzuckte, wenn sie nur an die Erinnerung rührte. Wenn sie aus ihrem Beutel die bernsteinfarbene Schuppe herausholte und betrachtete. Geschmolzenes, halb durchsichtiges Gold, wie die kostbare Krone ihres eigenen Königs, aus dessen Herrschaft sie nicht entkommen konnte. Ihr war, als würde sie sein Zeichen auf sich tragen, seinen Namen, wie eine unsichtbare Fessel.
Wie sollte man denn kämpfen, gefesselt?
Sie schuldete Bher die Wahrheit, aber sie brachte kein Wort davon über die Lippen. Für ihn war es ganz selbstverständlich, dass sie ihre alte Kammer wieder bezog. Dass sie dort weitermachten, wo sie vor ihrer Entführung aufgehört hatten. Linn vermutete, Mora hatte nichts davon verraten, dass sie Nival nachts bei ihr erwischt hatte.
» Er hat also gesagt: Lebe wie immer. Nun, dann tun wir das. Du brauchst Unterricht, Linnia. Was würdest du tun, wenn sie dich tatsächlich in die Garde aufnehmen und du stolperst bloß herum so wie hier? Die Schande nehme ich jedenfalls nicht auf mich. Jetzt beweg dich endlich. Zeig mir, wer du bist. Du bist enttäuscht? Linnia Harlon lässt sich nicht kleinkriegen. Du hast eine Drachenschuppe? Das interessiert mich nicht. Ich will einen anderen Beweis dafür, wer du bist. Greif an!«
» Ihr wollt sehen, wer ich bin?«, schluchzte sie auf. » Das hier bin ich!« Sie warf das Schwert in den Schnee. Eine Besiegte. Keine Drachenjägerin, wie sie allen verkündete, sondern eine Verliererin. Eine Dienerin, eine Leibeigene, keine stolze Ritterin.
Linn drehte sich um und rannte ins Haus. Vorbei an Mora in der Küche, die Treppe hoch, wo sie mit Agga zusammenstieß, und in ihr Zimmer. Sie knallte die Tür zu, Tränen schossen ihr aus den Augen, der Schmerz krallte sich um ihr Herz wie eine eiserne Faust, die ihr die Luft abschnürte.
» Du willst eine Drachenjägerin sehen, Bher? Ich bin keine mehr. Ich bin keine.«
Die Tränen flossen stärker. Sie presste das Gesicht ins Kissen und heulte sich die Seele aus dem Leib. Doch irgendwann kamen keine Tränen mehr nach. Sie lag da, drehte sich schließlich auf den Rücken und starrte an die Decke.
» Ich bin besiegt«, sagte sie laut. » Träume werden zu Albträumen, aus denen man nicht entkommt.«
Versteck dich, befahlen die uralten Erinnerungen. Duck dich. Sie fliegen über dich hinweg und werden dich nicht bemerken …
Dafür sah sie die Drachen vor sich, wie sie dahinglitten. Nicht in ihrem Traum, sondern in Brina. Ihre Flügel rissen die Schindeln von den Dächern. Wie die Häuser brannten, wie die Pferde über die Straße hetzten mit Flammenmähnen. Wie Binia lief, auch ihr goldenes Haar in einen Kopfschmuck aus Feuer verwandelt.
Ich muss lernen, wie man Drachen tötet, hörte sie sich selbst sagen. Es kam ihr vor, als sei das viele Jahre her, ein ganzes Leben. Dann komme ich zurück. Ich verspreche es.
» Drachenmaid«, jubelte Jikesch. Sie hörte seine Stimme in ihrem Ohr, als würde er direkt neben ihr sitzen. » Drachenmaid. Schwertmaid. Sie ist wieder da!«
» Bin ich das?«, fragte sie leise.
Erkenne, wer du bist. Erkenne, wer deine Feinde sind. Erkenne, wer deine Freunde sind. Dann bist du unbesiegbar.
Erkenne, wer du bist.
Linn stand auf und blickte aus ihrem Fenster in den Hof hinunter. Bher wartete immer noch auf sie. Er malte mit der Dornlanze Muster in den Schnee.
Sie beugte sich über die
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