Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
er erlitten hat? Wie kann ich aus diesem Bund aussteigen, bevor ich etwas Schlimmes tue? Und wenn ich fliehe?
Sie dachte daran, wie Rania gestorben war, so schnell, so unverhofft, ohne eine Chance auf Flucht oder Gegenwehr.
Nein, Nat Kyah kannte keine Gnade.
» Sind es Tränen?« Jikesch setzte sich vor ihr in den Schnee. » Sind es Schneeflocken? Was schmilzt auf deinem Gesicht, meine Drachenjägerin? Ist es dein hartes, kaltes Herz? Bist du gekommen, um mir wieder einmal einen Korb zu geben?«
So traurig die Worte klangen, so fröhlich jubilierte seine Stimme, wie ein Vogel im Frühling.
» Jikesch«, sagte Linn nachdenklich. » Können wir reden? Irgendwo, wo wir ganz ungestört sind?«
» Sie will mit mir allein sein«, flüsterte er. » Meine Herzliebste, mein Baummädchen, meine Korbträgerin, Drachentod? Ich sterbe hier zu deinen Füßen, Hübschmaid.«
Dann fasste er sie bei der Hand und zog sie hinter sich her.
Das Schneetreiben verbarg sie vor den Blicken der Wachen. Der Narr führte Linn quer über den Hof, zu den Ställen.
» Du hast deine Jikesch wiederbekommen?«
Die schwarze Eselin stand wie früher in ihrer Box und hob freudig den Kopf, als sie ihren Herrn erkannte.
» Sie kam, du nicht«, sagte der Narr traurig. » Alle deine Sachen hat Okanion mitgebracht. Dein wunderschönes Kettenhemd. Die Lanze. Deine bunten Haarbänder. Alles war wieder da. Nur du nicht.«
In seiner Stimme schwang der Schmerz mit, den er empfunden hatte, eine solch bittere Untröstlichkeit, dass ihr für einen Moment war, als wäre es ihr eigener Schmerz.
» Du dachtest, ich würde nie zurückkommen? Du dachtest doch wohl nicht, dass du schuld bist – an meinem Tod?«
Er antwortete nicht. Er lachte auch nicht. Für einen Augenblick war das Schweigen zwischen ihnen dunkel, von einer Schuld getränkt, angesichts derer alles Lachen verstummte. Dann sagte er leise: » Aber du bist nicht tot. Du hast deinen Drachen erlegt.«
Dazu schwieg sie, und er starrte sie an, überrascht.
» Komm«, flüsterte er. » Hier sind wir allein.« Er wies auf eine schmale Leiter, die auf einen Heuboden führte. Linn kletterte ihm nach. Es war dunkel unter dem Dach und still, nur das Schnauben der Pferde, das Klappern von Wassereimern und das Rascheln des Strohs klangen gedämpft herauf. » So«, sagte Jikesch. » Jetzt kannst du mich küssen, so viel du willst.«
Sie setzte sich neben ihn ins Heu. Der Dachboden erinnerte sie an die Mühle. Staub lag in der Luft. Hier, im Dämmerdunkel, verschwand die Welt draußen, und man war versucht, alles Böse für einen Traum zu halten.
» Jikesch«, sagte sie leise, » ich habe den Drachen nicht getötet. Ich habe es versucht, aber ich habe versagt.«
» Hat er dich verschlungen, und du bist als Geist zurückgekommen?«, erkundigte er sich. In seine Stimme war wieder die tänzerische Leichtigkeit zurückgekehrt, die er vorhin für einen Moment verloren hatte, als er ihr einen kurzen Einblick in den Abgrund seiner Traurigkeit gewährt hatte.
» Fast«, sagte sie. » So fühle ich mich jedenfalls. Er hat mich verschlungen, und nun lebe ich in ihm. Es gibt kein Entkommen. Ich bin hier und bin trotzdem immer noch bei ihm.«
Er hörte ihr zu, während sie erzählte. Hier im Dunkeln warf sie die Lüge ab und sprach aus, wie es wirklich gewesen war. Der Drache. Das Hohe Spiel. Ihre Aufgabe, die sie nicht erfüllen konnte, als hätte Nat Kyah ihr ein Rätsel gestellt, das sie lösen musste und das im Grunde unlösbar war. Nur davon, dass sie von ihren eigenen magischen Fähigkeiten überrascht worden war, erzählte sie nicht, als könnte das Verschweigen diese Tatsache irgendwie auslöschen. Nicht einmal Jikesch gegenüber brachte sie es fertig zu erwähnen, wie sie in ihrem staubigen Zimmer in der Burg einen Tornado entfesselt hatte.
Wenn man nicht daran dachte, war es vielleicht nie passiert. Dann war sie nicht diejenige, die Nat Kyah so mächtig machen konnte, dass er nicht nur über sie, sondern über die ganze Welt herrschen würde.
Während Jikesch ihr lauschte, rückte er näher an sie heran, und schließlich schmiegte er sich in ihren Arm, und sie lagen im Heu wie zwei Kinder, die ein Geheimnis teilen, das ihre Eltern niemals erfahren dürfen.
» Grüne Steine«, flüsterte er, den Mund nah an ihrem Ohr. » Wie viele grüne Steine schufen die Götter, und wie viele landeten in diesem Schloss, als sie es Diamanten und Juwelen regnen ließen?«
» Grün, golden marmoriert – natürlich
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