Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
will er eine ganz bestimmte Drachenschuppe«, sagte Linn. » Jeder, der sich nicht auskennt, würde sie für besonders seltene, wertvolle Edelsteine halten. Smaragde haben kein goldenes Muster, nicht wahr? Es ist kein Stein, den ich ihm bringen soll. Ich ahne, um wessen Schuppen es geht … Ein Gedanke, bei dem mir schwindlig wird. Aber vielleicht täusche ich mich da ja auch. Vielleicht will er bloß ein Andenken an einen alten Freund.«
Ihr Lachen geriet bitter.
» Wenn wir diesen Stein nicht finden, bring ihm doch einfach ein paar andere«, schlug er vor.
» Das dachte ich mir auch. Ich muss in die Schatzkammer, Jikesch. Nur weiß ich nicht wie. Du kennst dich hier aus …«
» Ja«, sagte der Narr leise. » Ich kenne mich hier aus. Ich springe durch das Schloss, als wäre es meine Küche und mein Thronsaal und mein Garten, der Marktplatz meiner Künste. Pivellius ist der große König, und ich bin der kleine König, ein Abklatsch seiner Herrlichkeit und Würde. Ich bin des Königs Glück. Werde ich ihn verraten – für dich, meine Schöne? Werde ich ihn hintergehen und betrügen und berauben? Sag es mir. Ich weiß es, aber ich will es nicht wissen. Ich will nicht, dass mein Gelächter in tausend goldene Scherben zerspringt.«
Linn streckte die Hand aus und berührte seine Wange, die nass war vor Tränen.
» So etwas würde ich nie von dir verlangen«, sagte sie. » Ich dachte nur, du könntest mir irgendwie helfen, ins Schloss hineinzukommen …«
» Ja«, flüsterte er. » Das kann ich. Ich kann mit dir durch ein Flussbett voller Goldmünzen wandern. Ich kann die Krone vom Kopf des Königs pflücken wie eine Sonnenblume und sie dir zu Füßen legen. Ich kann meinen Hals unter das Beil legen und zusehen, wie es auf mich niederfährt.«
» Jikesch, bitte! So habe ich es doch gar nicht gemeint.«
Er hielt ihre Hand an seiner Wange fest und küsste ihre Fingerspitzen.
» Wir haben zusammen gegen den einen Drachen gekämpft«, sagte er. » Nun kämpfen wir gegen den zweiten. Sein Honigpanzer verklebt mir die Augen … Weine nicht, liebste Linnia. Wir werden den König all seiner Herrlichkeit entkleiden.«
Sie hatte nicht darüber nachgedacht, was sie da von ihm verlangte. Dass er, auch wenn er sie nur ins Schloss ließ, seinen Kopf riskierte. Es durfte nicht sein. Was sie auch tat, Jikesch war ihr Freund; es war unfair, ihn in diese Sache mit hineinzuziehen.
» Vergiss es«, sagte sie. » Ich werde einen anderen Weg finden.«
» Nein, nicht doch«, wehrte er ab, als müsste er ein übertrieben großzügiges Geschenk ablehnen. » Du bist hier, und ich bin hier – welchen Weg könnte es für uns geben als diesen, zusammen in den Rachen des Untiers?«
» Aber ich kann nicht zulassen, dass du dein Leben für mich riskierst.« Nie würde sie den Moment vergessen, als der König ihn zu Boden geschlagen hatte. Wie hatte sie die ganzen vergangenen Monde leben können, ohne zu wissen, wie es Jikesch ging? Auf einmal war ihr klar, warum sie in ihren Gedanken immer an Nival hängengeblieben war – um nicht an die zusammengekrümmte Gestalt auf dem Marmorboden des Schlosses denken zu müssen. » Ich kann nicht damit leben, wenn dir meinetwegen etwas zustößt.«
» Als du fort warst«, wisperte er, » war der Himmel schwarz. Die Welt wurde dunkel, als hätte der Drache uns alle verschluckt, ganz Lanhannat und dieses Schloss und mich mit, einen kleinen Käfer auf einem Stein.«
» Das wollte ich nicht.«
» Es gefällt mir nicht, im Bauch eines Drachen zu landen. Wenn du tot bist, kann ich nicht mehr lachen, und was meinst du, wie der König mich dann erst verprügeln wird? Ich muss mein Leben retten, liebste Linnia. Wer bin ich, wenn ich aufhöre, mich wie ein Narr zu benehmen?«
» Ich habe Angst«, gestand sie.
Sie hielten einander fest. Zwei Ritter, die in den Kampf zogen. Zwei Liebende, die einander nie näherkommen würden als jetzt. Dann konnte Jikesch die überwältigende Macht seiner Gefühle nicht mehr aushalten, denn er sprang rückwärts davon, kicherte und rief halblaut ins Dunkel der Heukammer: » Vernarren wir ihn und alle anderen Untiere dieser Welt!«
Den Herrscher von ganz Schenn und den zugehörigen Provinzen zum Narren zu halten – diese Aussicht erfüllte Linn nach wie vor mit Schrecken, und doch stahl sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.
» Schlug er mich zu Boden«, sang Jikesch aufgedreht. » Schlug er dich zum Ritter. Schlagen wir ihm ein Schnippchen!«
» Ja«, sagte sie.
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