Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
» Tun wir es.«
Sie hatte stundenlang mit Bher trainiert. Endlich hatte er ihr erlaubt, sich auszuruhen. Eine Tasse heißen Tees in den Händen, saß Linn auf der Küchenbank und schaute Mora beim Teigkneten zu. Heute Abend würde sie noch einmal ins Schloss zurückkehren … vielleicht gab es ja doch einen Ausweg?
» Das Hohe Spiel«, sagte sie unvermittelt. Die Frage, die ihr auf der Zunge brannte, konnte sie Bher nicht stellen, Bher, dem Ehre etwas bedeutete. Aber als Zauberin verstieß Mora jeden Tag gegen Regeln und Gesetze.
» Was?« Die Hausherrin blickte auf. » Was ist damit?«
» Was passiert, wenn man nicht mitspielt? Ich meine, wenn jemand verloren hat und dann einfach seinem Feind nicht gehorcht?«
Mora schüttelte den Kopf. Sie rollte den Teig zu einer großen Kugel zusammen und bestäubte diese mit Mehl.
» Das geht nicht. Wenn man sich auf die Regeln einlässt, muss man sich auch daran halten.«
» Was soll das heißen? Bher hat mir erzählt, es wären häufig Feinde gewesen, die gegeneinander angetreten sind. Richtige Feinde, Gegner aus Königreichen, die miteinander Krieg geführt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so klein beigegeben haben.«
» Sie mussten. Das ist das Spiel.«
» Aber … kann man wirklich glauben, dass jeder so ehrlich und herzensgut ist, dass er sich an die Abmachung hält? Haben sie nicht versucht, ihren Herrn zu töten, sobald er ihnen den Rücken zugekehrt hat?«
» Willst du den Prinzen herausfordern und ihn zwingen, deinen Namen zu rehabilitieren? Er müsste es tun, so viel steht fest. Trotzdem rate ich dir davon ab, Linnia. Du bist nicht mehr so gut, wie du letztes Jahr warst, hat Bher gesagt. Prinz Arian dagegen soll ein begnadeter Fechter sein. Fraglich ist auch, ob er die Herausforderung annehmen würde. Du solltest wirklich mit diesen elenden Spielen und Wetten aufhören. Himmel, das ist wie eine fixe Idee von dir!«
Mora hatte immer noch nicht auf ihre Frage geantwortet. Linn ließ sie in dem Glauben, es ginge ihr darum, Arian zu versklaven. » Er müsste es tun? Was soll das heißen? So, wie ich ihn kennengelernt habe, würde er sich drücken und alles abstreiten.«
Mora stellte die Schüssel neben den Ofen und deckte ein Tuch darüber.
» Nicht einmal der Prinz würde es wagen, einen solchen Pakt zu brechen. Es heißt, das Hohe Spiel wird vor den Augen von Hay Ran Birayik geschlossen. Vermutlich hast du diesen Namen noch nie gehört. Ein Gott, der früher als der Gott der Spieler verehrt wurde und der in Vergessenheit geraten ist. Ich weiß nicht viel über ihn – vielleicht gibt es ihn auch gar nicht. Doch dieser Gott wäre eine Erklärung dafür, warum jeden, der bei diesem Spiel betrügen will, ein Fluch trifft, den man nicht mal seinem schlimmsten Feind an den Hals wünschen würde.«
» Dieser Gott wacht also darüber, dass alle sich an die Regeln halten.« Linn starrte in ihren Tee, in dem ein einzelnes grünes Blättchen schwamm. » Ist das ein ausreichender Grund, um gehorsam zu sein? Ein Gott, der keine Priester hat, der vielleicht nicht einmal existiert?«
Alles in ihr sträubte sich dagegen, einen Vertrag zu brechen. Dennoch würde ihr letztendlich nichts anderes übrig bleiben. Dem Drachen einfach nicht zu gehorchen. Vor ihm zu fliehen. Er würde sie nicht finden, wenn sie sich gut genug versteckte, und sie war gewiss nicht mehr so dumm, sich Drachenkrallen andrehen zu lassen.
» Es gibt Geschichten über Männer, die den Pakt brachen«, sagte Mora leise. » Man spricht nicht gerne darüber. Von Geschwüren, die ihre Haut bedeckten, vom Scheitel bis zur Sohle. Von jenem Ritter, der kein Essen bei sich behalten konnte und verhungerte, vor der gedeckten Tafel. Von Wahnsinnigen, die schreiend und mit Schaum vor dem Mund in finstere Verliese gesperrt wurden. Sind diese Geschichten wahr? Ich würde nicht diejenige sein wollen, die das ausprobiert. Auch der Prinz wird lieber deine Stiefel putzen, als ein solches Ende zu riskieren. Trotzdem solltest du ihn nicht herausfordern.«
» Das werde ich ganz bestimmt nicht«, sagte Linn, obwohl die Vorstellung, dass Arian den Dreck von ihren Schuhsohlen kratzen musste, durchaus ihren Reiz hatte.
» Wir beten zu Belim, dem barmherzigen Gott«, meinte Mora nachdenklich, » bei Tage und im Sonnenschein. Aber es gibt auch dunkle, geheimnisvolle Götter, deren Namen man allenfalls flüstert. Götter, die sich vor uns verbergen – und wir sollten dankbar sein, dass sie das tun.
Weitere Kostenlose Bücher