Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
Gerade du solltest vorsichtig sein. Ich an deiner Stelle würde einen weiten Bogen um das Hohe Spiel machen, nein, nicht bloß einen Bogen, sondern einen Kreis von hundert Yagons.«
» Wieso gerade ich? Wie meint Ihr das?«
» Hast du nicht einen Drachen getötet?« Mora senkte die Stimme zu einem Flüstern. » Es heißt, Hay Ran Birayik sei der Gott des Hohen Spiels, aber es heißt auch, er sei der Gott der Drachen.«
Linn schluckte. Oder war auch das nur eine Geschichte, um die Menschen dazu zu bringen zu gehorchen? » Für wie lange muss man denn dienen?« Diese eine Frage hatte sie noch.
» Ein Jahr oder drei oder fünf. Der Einsatz wird vorher festgelegt, wie bei jeder Wette.«
» Was, wenn der Einsatz vorher gar nicht feststand?«
Mora warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. » Hast du dich etwa auf so ein Spiel eingelassen, Linnia?«
» Nein, natürlich nicht«, versicherte sie. » Wie lange gilt das, wenn man keinen Zeitraum vereinbart hat?«
» Mehrere Jahre können vergehen, ohne dass viel geschieht. Aber in dem Fall … Es mag schneller sein, doch es ist nicht unbedingt besser. Eine Aufgabe.« Mora wusste wie immer Bescheid. » Eine Aufgabe lang – das klingt vielleicht leichter, als es ist. Die Sieger haben häufig schwierige und knifflige Aufträge ersonnen. Allerdings sollte man darauf achten, nicht zu übertreiben, sonst wird der Gott unbarmherzig eingreifen.«
Eine Aufgabe lang. Linn kannte ihre Aufgabe, und so sehr sie sich auch gewünscht hatte, ihr zu entgehen – vielleicht war es wirklich sicherer zu tun, was Nat Kyah von ihr verlangte, um dann ein für alle Mal frei zu sein, als sich dem Risiko auszusetzen, diesen rätselhaften Hay Ran Birayik zu erzürnen.
Hay, hay, hay …
Rief man ihn nicht immer noch an, bei jeder Wette? Sie hatte es nicht gewusst. Nur, dass man nicht einmal im Traum daran denken durfte, sich aus einer Wette herauszuwinden, die man verloren hatte.
Es war eine Sache der Ehre.
Was würde ich opfern, wenn ich die Spielregeln breche? Meine Gesundheit, mein Leben?
Auf einmal musste sie an die Königin denken. Irana war für diesen Stein gestorben … Wie kann ich zögern, wenn sogar die Königin ihr Leben dafür gab?
Ob dieser Gott nun existierte oder nicht – sie musste ihren Einsatz einlösen. Sie musste wenigstens so tun, als ob. Sie würde Nat Kyah grüne Steine bringen, so viel sie tragen konnte. Solange nur der richtige nicht darunter war.
Noch sechs Viertelmonde, und sie war wieder frei. Oder – und im Moment sah es eher danach aus – leider tot.
Linn hatte sich einen Schal um den Kopf geschlungen und trug ein dickes Wolltuch um die Schultern, das völlig durchnässt war von der Schneeschicht, die sich darübergelegt hatte. Heute fühlte sie sich ganz allein auf der Welt, nur vom Schneegestöber umgeben, das alle Geräusche dämpfte.
Dafür wurden ihre Gedanken laut. Wurde die Gewissheit, dass es ein Fehler war, übermächtig.
Selbst wenn sie einwilligte, sich mit Nat Kyah anzulegen, wenn sie dazu entschlossen war, ihn zu betrügen und alles zu riskieren – sie brachte damit nicht nur sich in Gefahr, sondern auch Jikesch.
War es nicht besser, lieber ganz zu verschwinden, statt zu hoffen, dass der Diebstahl grüner Edelsteine den Drachen besänftigte? Statt auf diese kleine Chance zu hoffen, ihr Leben zu retten? Jeder Schritt vermehrte ihre Zweifel. Aber sie ging trotzdem weiter; die Pasteten mussten abgeliefert werden. Ich kann immer noch umkehren … ich könnte …
Die Wachen winkten sie durch. In der Küche herrschte rege Betriebsamkeit, man nahm ihr die Ware ab und beachtete sie ansonsten kaum. Ach, richtig, stand nicht irgendein wichtiger Besuch an, für den alles vorbereitet wurde?
Linn schlüpfte wieder in den Hof hinaus, blinzelte ins Schneetreiben und dachte: jetzt nach Hause.
» Da ist sie ja.« Der Narr war vor ihr aufgetaucht. Schnee färbte seine Schultern und die gelbe Mütze weiß. » Himmelsfedern verstecken die Spieler.«
» Das ist kein Spiel«, sagte sie ernst. » Wir sollten das nicht tun.«
» Doch«, widersprach er, » ein köstliches Spiel. Eine Schatzsuche. Eine Überraschung! Hoffen wir, dass wir nicht überrascht werden. Komm, Jägerin, Steinsucherin, komm mit mir!«
Selbst durch die Handschuhe hindurch konnte sie spüren, wie kalt seine Finger waren.
» Wie lange hast du hier draußen auf mich gewartet?«, fragte sie und fühlte sich schuldig, weil sie beim Aufstieg so sehr getrödelt hatte, in ihre Sorgen und
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