Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
Beutel. Ob der grüne Stein der Beschreibung des Drachen entsprach, konnte sie bei diesem Licht nicht ausmachen. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn sie die Fähigkeit besessen hätte, magische Kraft zu erkennen. Der stetige Schneefall vor den Fenstern dämpfte alles, vielleicht auch ihren Mut, denn sie sagte: » Wollen wir nicht umkehren?«
» Jetzt schon?« Die Augen des Narren funkelten, sein weiß geschminktes Gesicht verzerrte sich zu einer traurigen Grimasse. » Jetzt, da es gerade spaßig wird? Komm, Linnia. Ein Tag wie heute, wunderbar und verschneit! Wir sind noch nicht weit gekommen mit unserer Schatzsuche.«
Sie drangen in immer belebtere Bereiche des Schlosses vor. Während Jikesch das alles wie einen Ausflug zu genießen schien, fühlte Linn sich zunehmend unwohl. Der Ring war das eine – jemand hatte ihn sicher verloren, vielleicht hatte ein Mädchen, von einem Mann enttäuscht, das Schmuckstück einfach loswerden wollen. Es mitzunehmen, war verzeihlich und fühlte sich nicht wie Diebstahl an. Aber was sie jetzt taten, war etwas anderes – ein Zimmer zu durchstöbern, das offenkundig einer reichen Dame gehörte, die glücklicherweise durch Abwesenheit glänzte.
Das üppige Himmelbett war von einer Reihe Kommoden und Schränkchen umringt, auf denen Spiegel, offene Döschen und mit Seide ausgeschlagene Kästchen standen. Perlen und goldene Ketten quollen daraus hervor. Linn sah sie hastig durch und registrierte mit Erleichterung, dass die Dame rote Steine bevorzugte.
» Hier.« Jikesch hatte sich nicht von der Fülle an Schmuck ablenken lassen und griff das einzige Stück heraus, das mit grünen Steinen verziert war – eins der Kästchen war über und über damit besetzt.
» Das ist viel zu groß.«
» Ist es nicht.« Auch er trug einen Beutel mit sich, in dem er das Fundstück nun verstaute. Und schon ging es weiter. Offenbar war der erwartete Besuch angekommen, denn der Strom der Schlossbewohner ergoss sich in Richtung Ausgang. Auf den Gängen und Treppen hörten sie, wie alle aufgeregt über » diesen Botschafter aus Tijoa« lamentierten – » Habt Ihr gesehen, was für einen Pelz seine Begleiterin trägt? Aus weißem Edel-Bergmarder! Dabei ist sie nur seine Schreiberin.«
Zwei kichernde Grafentöchter stolzierten vorbei. » Wie, die Dame Chamija habt Ihr noch nicht gesehen? So schön, wie alle sagen, finde ich sie nun auch wieder nicht. Nein, der gut aussehende junge Kerl ist bloß sein Assistent. Bitte schön, meine Teuerste, Ihr könnt es ja mal bei ihm versuchen. Aber habt Ihr denn gar keine Skrupel? Immerhin ist er aus Tijoa!«
Bald hatten Linn und ihr Freund den Flügel, in dem die meisten Adligen wohnten, ganz für sich. Trotzdem konnte das Mädchen sich nicht entspannen. Sie huschten von Zimmer zu Zimmer und griffen sich die mit grünen Steinen besetzten Ketten, Broschen und Ringe heraus, wobei sie sich nicht die Zeit nahmen, sie auf die Beschreibung des Drachen hin zu untersuchen.
Linn war das eigentlich gar nicht recht. » Wenn wir die Dinge hier überprüfen, brauchen wir gar nicht alles mitzunehmen!« Wenigstens ungefähr sollte es so aussehen wie der gewünschte Stein, sonst würde Nat Kyah denken, dass sie wahllos alles eingesackt hatte.
» Wenn man uns erwischt«, meinte Jikesch ungerührt, » kommt es nicht darauf an, ob wir einen Ring im Beutel haben oder zwanzig Ketten.«
» Mein Lieber«, flüsterte sie, gerührt von seiner Bereitschaft, ihr bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu helfen, bis dahin, wo der Spaß aufhörte und sie beide auf dem schmalen Grat zwischen Abenteuerlust und Lebensgefahr balancierten. Sie hatte keine Wahl – der Drache wartete auf sie. Jikesch dagegen schon.
» Vielleicht hätten wir dann gar nichts. Bis jetzt schien mir nicht, dass etwas golden Marmoriertes dabei ist.«
» Wenn du nichts mitbringst, wird der Drache dich fressen«, versetzte der Narr. » Leg ihm lieber etwas Falsches als gar nichts vor. Dann sieht er wenigstens, dass du dich bemüht hast. Und«, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu, » welcher Drache würde sich nicht von einem Schatz besänftigen lassen? – Dieser da vielleicht?«
Vor einem riesigen Bild an der Wand blieb er stehen. Das Gemälde, das vom Fußboden bis zur Decke reichte, zeigte eine neue Interpretation der Brahan-Legende. Der Held war in eine glänzende Rüstung gehüllt, sodass man nur erraten konnte, wer darin steckte. An seinen Rücken schmiegte sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck, das
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