Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
erklärte er mit einem breiten Grinsen. » Aber seine Schreiberin konnte ihm das zum Glück ausreden, nachdem ich unter ihrem Rock hindurchgekrochen war.«
Jetzt, da das Abenteuer überstanden war, konnten sie beide herzlich darüber lachen. Jikesch hatte ihre Sachen mitgebracht, und sie verwandelte sich auf dem Dachboden in ein Stadtmädchen zurück. Die Diebesbeute verstauten sie im Pastetenkorb. Mit reichlich Verspätung machte Linn sich auf den Heimweg. Die Wachen am Tor schauten überrascht und wagten ein vielsagendes Grinsen, verkniffen sich aber jede Bemerkung. Linn hätte ihnen am liebsten ein paar deftige Ohrfeigen verpasst, nur für ihre Gedanken, beließ es jedoch bei einem geheimnisvollen Lächeln.
Bher glaubte, dass sie heute eine Freundin besuchen wollte – die nichtsahnende Töpferin war gut für Ausreden aller Art – und wunderte sich daher nicht über ihre späte Heimkehr. Den ganzen Nachmittag lang hatte sie auf dem Dachboden die Schätze untersucht und sortiert. Die meisten Steine waren einfach nur grün – Smaragde vermutlich. Winzige Splitter, die hübsch aussahen und Linn völlig kaltließen. Einige größere Brocken wiesen verschiedene Musterungen auf, Einschlüsse und andersfarbige Streifen. Sie war sich nicht sicher, ob es sich hierbei nicht sogar um Drachenschuppen handelte oder um eine andere Juwelensorte. Was, wenn sie Nat Kyah den mächtigen Stein brachte, ohne es selbst zu merken? Leider würde es nichts bringen, alles mit dem Drachen auf dem Bild zu vergleichen, denn der Maler hatte nicht gewusst, wie der Drachenkönig wirklich ausgesehen hatte. Schließlich hatte sie ihre Beute wieder eingepackt und in einer wurmstichigen Kommode zwischen verstaubtem Gerümpel versteckt.
Für eine von Gewissensbissen geplagte Diebin entwickelte Linn an diesem Abend einen gesunden Appetit. Sie fühlte sich aufgekratzt und lebendig, und während sie dem stummen Nival heimlich Blicke zuwarf, wurde ihr deutlich bewusst, wie unsinnig Moras Verbot war, sich mit ihm abzugeben. Sie wollte ja gar nichts von ihm. Er war bloß ein Schreiber und hatte vermutlich recht wenig Spaß in seinem tristen Leben. Die Hinterhofkämpfe waren kein richtiger Ausgleich, nur die Chance auf noch mehr Schmerz. Ja, Nival wirkte tatsächlich wie jemand, der Schmerzen sammelte – der sich in Einsamkeit vergrub, Ärger und Wut aufstaute und sich dann bei verbotenen Kämpfen austobte. Freunde schien er nicht zu haben.
Mit dem Löffel malte Linn in ihrer Suppe herum und bemühte sich, ihre Blicke zu kontrollieren. Sie schaute Nival auch nicht nach, als er vom Tisch aufstand. Nie wieder wollte sie den Fehler begehen, ihm allzu schnell zu folgen. Stattdessen half sie Mora in der Küche, neckte die Alten, hörte sich Bhers Fachsimpeleien über eine verbesserte Art der Dornlanze an und verabschiedete sich dann mit einem freundlichen » Gute Nacht«.
» Ich gehe noch ein bisschen aus«, sagte sie zu Mora, als diese sie an der Haustür einholte und dabei ertappte, wie sie sich den Schal um die Schultern schlang.
Mora spähte zum anderen Haus hinüber. In Nivals Fenster brannte Licht, ein helles Rechteck, das seine Gegenwart verkündete. Erst dann nickte sie. » Gib auf dich acht.«
» Natürlich. Ich bin ein großes Mädchen. Ein wehrhaftes, anständiges Mädchen.«
Zum Glück lag in der Gasse kein Schnee mehr. Sie hatte am frühen Abend gefegt, und es war kein neuer mehr gefallen. Spuren waren nicht zu sehen, und Linn zweifelte schon daran, ob er ihre Botschaft verstanden hatte, als sie um die Ecke bog und Nival aus dem Schatten trat, gehüllt in einen langen Mantel, der ihm etwas Verwegenes verlieh. Ein Nachbar durfte ihr Herz eigentlich nicht so zum Rasen bringen.
» Draußen?«, fragte er.
» Man kann keine langen Nachrichten in eine Suppe schreiben«, erklärte sie betont munter. » Draußen erschien mir genug – und Ihr habt es ja verstanden. Obwohl ich mir da nicht ganz sicher war. In Eurem Fenster brennt Licht.«
» Für meine Tante.«
» Aber Herr Nival«, rügte sie ihn lachend, » wie raffiniert Ihr sein könnt.«
Sie schlenderten nebeneinander her. Linn wollte sich mit ihm unterhalten, aber ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Ich habe heute Schmuck gestohlen? Ich bin gar keine Drachentöterin, sondern die Leibeigene eines gemeinen Untieres? Bei dem ich überdies lesen und schreiben gelernt habe. Fällt Euch nicht mal auf, dass ich das jetzt kann?
» Erzählt mir von Eurer Arbeit.«
» Ich
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