Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
ihr. » Gütiger Arajas, Rinek wird uns alle ins Unglück stürzen. Halte ihn auf.«
Sie wollte es tun. Hatte ihre Mutter ihr nicht vorhin erst befohlen, ihren Bruder zu stoppen, wenn er über die Stränge schlug? Wenn nur die Hoffnung nicht in ihr aufgewallt wäre, die übergroße Hoffnung, dass es gelang. Sie würden den Ertrag des Sommers mit heimbringen. Das Geld. Das Mehl. Das Öl. Was zählten ein paar Kupferpfennige, wenn ihnen dafür sämtliche Steuern erlassen wurden?
» Wann fangen wir an?«, fragte Rinek, schon etwas unsicherer, als der Büttel keinerlei Anstalten machte, vom Pferd zu steigen.
» Wir beide? Du meinst doch nicht etwa, ich kämpfe gegen dich?«
» Aber …«
» Die Regeln erlauben, einen Stellvertreter einzusetzen, das ist dir sicher bekannt?«
» Ja, aber …«
Der Beamte nickte einem der Knechte zu. » Worlin, ich stelle dich auf.«
Als der Knecht sich vom Wagen abwandte – er hatte, genau wie sein Kollege, die ganze Zeit überaus beschäftigt getan –, und sich vor Rinek aufbaute, unterdrückte Linn einen Fluch. Gegen den Büttel anzutreten, war das eine, dieser Kerl dagegen war ein ganz anderes Kaliber.
» Akzeptierst du diesen Gegner?«
Es blieb Rinek gar nichts anderes übrig. » Ja, das tue ich.«
Er hat den Stein, dachte Linn immer wieder, er hat den Stein. Er kann gar nicht verlieren.
Der Büttel lächelte dünn. » Bevor hier irgendein Wettstreit ausgetragen wird, erkläre ich dich, Rinek Lester, für schuldig der Beleidigung eines Beamten des vom König selbst einberufenen Landesherrn und des Versuchs der Steuerhinterziehung. Darauf steht ein halbes Jahr Kerker.«
» Nein!«, rief Rinek fassungslos.
» Du bist verhaftet und kannst damit nicht gegen Worlin antreten. Wer frühzeitig von einer Wette zurücktritt, gilt als Verlierer und muss den vollen Preis entrichten.«
Diesmal verschlug es dem jungen Mann die Sprache.
» Wie sollst du für mich arbeiten, um deine Wettschuld abzuzahlen, wenn du bis zum Frühjahr im Kerker sitzt? Aus lauter Gnade und Güte und weil ich heute so gute Laune habe, begrenze ich die Haft auf einen Viertelmond. Serim, nimm ihn fest.«
Der zweite Knecht packte Rinek am Arm und schlug ihm mit der Breitseite des Schwerts gegen die Beine, sodass der Müllerbursche in die Knie ging.
» Das ist ungerecht!«, rief Merok. » Das könnt Ihr nicht tun!«
Linn wollte ihn unterstützen, doch der Schreck schnürte ihr die Kehle zu. Während die Menge vor Entsetzen verstummte, sprach der Büttel weiter. » Niemand soll sagen, ich sei ungerecht und würde mich des Wetteinsatzes auf unredliche Weise bemächtigen. Natürlich hat mein Kontrahent das Recht, ebenfalls einen Ersatzspieler zu ernennen. Auf wen fällt deine Wahl?«
Merok stieß scharf die Luft aus, als Rinek, dem der Knecht bereits die Hände auf dem Rücken zusammenband, zu ihm hochsah.
» Nein«, flüsterte Linn entsetzt, » nimm nicht ihn. Nicht Merok.«
So erwachsen ihr jüngerer Bruder manchmal auch tat, diesem riesenhaften Knecht hatte er nichts entgegenzusetzen. Worlin würde ihn in Grund und Boden stampfen. Hilfesuchend ließ sie den Blick über die Dörfler wandern. Betreten senkten alle die Köpfe. Niemand wollte sich den Zorn des Büttels zuziehen und ebenfalls im Kerker landen.
Rinek war verloren. Die Steuern für einen ganzen Sommer doppelt zu zahlen – wie viele Jahre seines Lebens würde ihn das kosten?
» Gib mir den Stein, Merok«, sagte sie leise.
» Was?«
» Ich weiß, du hast ihn. Das hier würde nicht so laufen, wenn Rinek seinen noch hätte. Du hast ihn gestohlen, gib’s zu!«
» Hab ich nicht!«, zischte der Vierzehnjährige.
» Gib ihn schon her.« Sie hob den Kopf, nahm all ihren Mut zusammen und trat vor. » Ich mache es. Ich kämpfe an seiner Stelle.«
» Du?«
Der Büttel brauchte einen Moment, um sich von seiner Überraschung zu erholen, und brach dann in schallendes Gelächter aus. Keiner der Umstehenden lachte mit. In grimmigem Schweigen sahen die Dorfbewohner dem Drama zu, das sich vor ihren Augen abspielte.
» Mach das nicht«, stieß Rinek hervor. » Merok, bring sie nach Hause. Lass das nicht zu.«
» Hier bin ich. Ich trete an.« Hinter ihrem Rücken hielt Linn die Hand auf. Sie merkte, wie Merok den Stein hineinlegte, und schloss die Finger darum. Er fühlte sich warm an, wahrscheinlich hatte der Junge ihn direkt auf der Haut getragen. Ich kann gewinnen, dachte sie. Damit muss ich gewinnen. Es bleibt mir nichts anderes übrig.
Der Knecht,
Weitere Kostenlose Bücher