Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
und er wirkte hagerer. Über seine immer schon edlen Züge hatte sich ein geheimnisvolles Charisma gelegt und seine Augen funkelten im Dunkeln faszinierender als je zuvor. Wen sein Blickstreifte, der musste ihm sofort verfallen. Es war also kein Wunder, dass Amanda an ihm hing und das Personal ihm zu Füßen lag. Auch Friedrich schätzten und achteten sie, aber Amadeus war der uneingeschränkte Herr auf Blankensee. Allerdings scheute er nun doch das Sonnenlicht. Gedämpftes Tageslicht machte ihm noch nichts aus, der Glanz der Sonne hingegen verbrannte seine helle Haut. Ich salbte ihn und erklärte ihm diese Veränderungen als natürliche Folgen seiner Verwandlung zum Vampir.
»Du musst vorsichtig sein bei Tage«, warnte ich ihn. »Wirst du denn noch Dienst tun können mit einem solchen Gebrechen?«
Er lachte. »Deswegen wird mich wohl niemand ausmustern, Estelle! Das hoffe mal nicht. Ich werde mich schon irgendwie durchschlagen. Bei diesem Stellungskrieg liegen wir tagsüber fast immer in den dämmrigen Unterständen der Schützengräben, die Offensiven laufen meistens nachts. Da bin ich so tauglich wie jeder andere.«
Ich bedauerte das, denn es wäre mir durchaus zupassgekommen, wenn er den Dienst hätte quittieren müssen. Mit ihm auf Blankensee hätte ich mich sehr viel sicherer gefühlt. Aber das wollte er auf keinen Fall. Als ich noch einmal insistierte, brachte er es tatsächlich fertig, es eine Frage der Ehre zu nennen. Das verärgerte mich und ich sagte zornig: »Ehre! Wer hat was davon außer dem Kaiser! Das Volk leidet unter dem Krieg, es hungert und opfert seine Söhne, die nicht ehrenvoll fallen, sondern schlicht und einfach im Dreck verrecken. Was soll daran ruhmvoll sein? Das Eiserne Kreuz, das man der Mutter oder der Witwe feierlich überreicht?« Ich umschlang ihn mit meinen Armen, und ungeachtet der Tatsache, dass wir ja gar nicht verheiratet waren, ich also auch nicht seine Witwe werdenkonnte, verlangte ich: »Amadeus, versprich mir, dass mir niemand so einen posthumen Orden bringen wird!«
Er streichelte mich und lachte. Dann meinte er: »Liebste, dir bekommt das Alleinsein hier auf dem Lande nicht gut. Du siehst alles viel zu schwarz. Du musst ganz dringend wieder unter Menschen.« Und weil er gerade beim Thema war, schlug er vor, doch recht bald mit Friedrich einmal nach Berlin zu fahren, um sich dort eine lustige Nacht zu machen, alte Freunde zu treffen und den Krieg einfach mal für ein paar Stunden zu vergessen.
Ich hielt das für eine gute Idee, weil wir Friedrich dort sehr viel besser als auf Blankensee seine erste eigene Blutmahlzeit beschaffen konnten, um das letzte noch ausstehende Initiationsritual zu vollziehen, das auch ihn voll und ganz zu einem Vampir machen würde.
Ich hoffte, dass er dann den Krieg besser ertragen könnte und eine innere Stärke ausbilden würde, die ihn härter machte gegen die Grausamkeiten der Welt und weich bleiben ließ gegenüber den Menschen, die ihn liebten.
Mir selbst kam die Fahrt nach Berlin ebenfalls sehr gelegen, denn durch die aufopfernde Pflege für Friedrich war ich nicht dazu gekommen, an mich selbst zu denken, und ich merkte, dass meine Kräfte nahezu aufgezehrt waren.
Zunächst jedoch trafen wir die Freunde aus dem Neuen Club , das heißt das schmale Häuflein derer, die der Krieg bereits wieder ausgespien hatte, die körperlich Versehrten und seelisch Verkrüppelten, die nicht mehr kriegsdiensttauglich waren. Sie berichteten von traurigen Verlusten unter den Freunden. Dichter, Maler, Schauspieler und Sänger waren ausnahmslos seine Opfer geworden. Kein gottgeschenktes Talent hatte sie retten können. Und wieder einmal musste ich an den frühen Tod von Georg im Eis derHavel denken und war froh, dass ihm dieser Krieg erspart geblieben war. Überlebt hätte er ihn vielleicht, aber bei seiner Sensibilität wohl kaum mit gesunder Seele.
Die betrüblichen Nachrichten entfesselten in uns einen dumpfen Zorn auf alle Kriegstreiber, und so beschlossen wir, für Friedrichs erste Blutmahlzeit einen konservativen Politiker als Opfer auszuwählen. Friedrich hatte da schon eine ziemlich genaue Vorstellung, welcher Zylinder dran glauben musste, und so schlichen wir uns in die Nähe seines Hauses, um ihm aufzulauern. Es war schon später Abend und die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass er sich zu dieser Stunde noch aus dem Haus begeben würde, aber das Glück war uns hold. Erst sprang ein kläffender Königspudel aus der Tür, dann folgte das beleibte
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