Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
»Wer?«
»Frau Holland. Die freundliche Blonde aus dem Erdgeschoss.«
»Im Erdgeschoss wohnt doch er !«
»Auf der anderen Seite? Die gegenüberliegende Wohnung.«
»Da wohnt seit Neuestem eine Frau Holland?«
Die Musik im Erdgeschoss brach ab. Frau Tröndle trat noch einige Male kräftig aufs Parkett, als hätte sie den Schlussakkord zu geben, und Herr Wischnewski legte daraufhin mit einem schwungvollen und äußerst laut gespielten Boogie-Woogie los. Nun kam meine Gastgeberin mit dem Trampeln nicht mehr nach. Über uns begann ein großer, offenbar unmusikalischer Hund zu bellen. Das Haus stammte aus der Nachkriegszeit und war nicht besonders gut isoliert.
Ich bemühte mich, noch lauter zu sprechen.
»Vor dreißig Jahren …«
»Was war da? Damals habe ich nämlich schon hier gewohnt. Ich bin ja in dieser Wohnung praktisch auf die Welt gekommen, und wenn Ikarus nichts dagegen unternimmt …«
Mir fiel auf, dass die alte Frau ständig auf die Uhr sah.
»Erwarten Sie Besuch?«, fragte ich.
»Meine Putzfrau«, erwiderte sie mit bedeutendem Blick. »Aber sie kommen ja immer zu spät, diese Putzfrauen. Sind heutzutage alles Russinnen. Oder Polinnen. Mein Sohn bezahlt sie, damit ich’s ein bisschen leichter habe. Aber sie bestehlen einen. Lassen Sachen verschwinden. Manchmal bringen sie sie später zurück und verstecken sie irgendwo in der Wohnung, wo man sie nach Monaten wiederfindet. Die meisten kommen nach zwei, drei Wochen sowieso nicht mehr. Weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Weil sie eine alte Frau bestehlen.«
»Hergarden?« Ich unternahm einen letzten Versuch. »An den Namen erinnern Sie sich aber noch?«
»Sie haben ihn doch vorhin selbst erwähnt.« Frau Tröndle sah mir forschend ins Gesicht. »Haben Sie Probleme mit dem Gedächtnis? Mein Schwager, bei dem hat es nämlich auch schon mit Mitte vierzig angefangen. Wie der sechzig war, hat er nicht mal mehr seine Frau erkannt. Was haben Sie gefragt?«
»Das Ehepaar Hergarden. Die Frau war Schauspielerin.«
»Die wohnen schon ewig nicht mehr hier. Nach Hirschberg sind die gezogen, Anfang der Neunziger schon. War auch gut so. Zwei schreckliche Kinder haben sie nämlich gehabt. Schrecklich ungezogene Kinder. Ein Haus haben sie sich gekauft. Irgendwo bei Hirschberg. War ihnen hier nicht mehr fein genug. Noch ein Tässchen Tee vielleicht?«
Ich lehnte dankend ab und erhob mich. Im Erdgeschoss spielte man jetzt Bach. Die Goldberg-Variationen. Frau Tröndle trampelte mit beiden Füßen, dass das Geschirr im Schrank klapperte und klirrte. Oben bellte wieder der Hund.
Das Parkett in Frau Tröndles Wohnung hatte anders ausgesehen als das auf meinen Fotos, wurde mir bewusst, als ich die Treppe hinabstieg. Neuer. Vermutlich war es irgendwann ausgetauscht worden.
Der Abend mit Theresa verlief freudlos. Sie war wortkarg und gedrückter Stimmung – was bei ihr hin und wieder vorkam und wofür es keinen besonderen Grund brauchte. Dieses Mal hatten wir uns wieder in unserem Liebesnest in der Ladenburgerstraße verabredet. Eine kleine Zweizimmerwohnung, die wir eigens zu dem Zweck angemietet hatten, einen Ort zu haben, wo wir zusammen sein konnten. Den Lichtblick dieses Abends bildete der Saxophonist in der Wohnung über unserer. Viele Monate war er verschwunden gewesen, und plötzlich war er wieder da. Improvisierte auf seinem Instrument, als spiele er nur für uns. Auch er schien traurig zu sein.
Theresas schlechte Laune führte ich auf den ausbleibenden Verkaufserfolg ihres neuen Buchs zurück. Fragen dazu beantwortete sie ausweichend. Nicht einmal beim heute etwas mühsamen Sex wollte die übliche Begeisterung aufkommen.
»Das wird schon noch«, versuchte ich sie zu aufzumuntern, nachdem wir uns geliebt hatten. Ich hatte mich ein wenig gebremst, damit mein Kreislauf nicht zu sehr in Schwung geriet. Immer noch lauerten irgendwo ganz weit hinten in meinem Kopf die verfluchten Schmerzen.
»Meinst du?«, fragte Theresa und sog lustlos an ihrer Zigarette.
»Das Buch ist gerade mal zwei Monate auf dem Markt.«
»Es hat bisher nicht eine Besprechung gegeben! Und dann dieses Wetter! Die Kälte, die ewige Dunkelheit. Da muss man ja depressiv werden.«
Der Saxophonist versuchte sich an einem heiteren Thema, brach jedoch bald wieder ab.
Seufzend schmiegte Theresa sich an mich. Ich streichelte sie still und hatte eine – wie ich fand – geradezu geniale Idee.
»Theresa, du musst ans Licht. Du bist eindeutig ein Fall von Winterdepression. Morgen ist
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