Die Enden der Parabel
an, mit Carl Orff ?" "Daran habe ich nie gedacht", sagt Gustav, und für einen Augenblick ist klar, daß auch Säure von Weberns Tod gehört hat und auf seine versteckte Art versucht, Gustav aufzuheitern.
"Wie wär's denn statt dessen mit Rossini!?" poltert Säure und zündet sich seinen Reefer an. "Na?"
"Brrrr, Rossini!" schüttelt sich Gustav, und schon geht's wieder los: "Du elendsaltes Fossil. Warum denn, glaubst du, geht kein Mensch mehr in Konzerte? Etwa wegen dem Krieg? O nein, ich werd dir sagen, weshalb, Alterchen - weil die Konzertsäle voll sind mit Leuten deines Schlages! Gerammelt voll! Die im Halbschlaf nicken und grinsen, sich räuspern, durch künstliche Gebisse furzen und in Papiertüten spucken und dabei immer genialere Verschwörungen gegen ihre Kinder aushecken - nicht nur ihre eigenen, sondern auch gegen die Kinder anderer Leute! Da sitzen sie in den Konzerten mit all den anderen schneeköpfigen alten Gaunern, ein netter murmelnder Hintergrund aus Keuchen, Rülpsen, Schmatzen, Krächzen und Darmgewinsel, ein ganzes Opernhaus, vollgestopft mit diesen Figuren bis rauf zur Stehgalerie, tatternd durch Wandelgänge und von den höchsten Balkons herunterhängend, und weißt du, was die sich allesamt anhören, Säure, hä? Sie alle hören sich Rossini an! Sitzen, sabbern und lauschen einem Potpourri aus kleinen Melodien, die man nach dem ersten Takt zu Ende pfeifen könnte. Lehnen sich vorwärts, stützen die Ellenbogen auf die Knie und mümmeln: Ein Benehmen, so schamlos, wie ein ganzes Glas Erdnußbutter auf einen Sitz aufzuessen. Und dann kommt diese spritzige Tancredi-Tarantella, und entzückt stampfen sie mit den Füßen auf, lassen ihre Zähne rausploppen und schlagen mit ihren Spazierstöcken den Takt;- "
"Es ist eine große Melodie", gellt Säure zurück. "Rauch noch einen, und ich spiel sie dir hier auf dem Bösendorfer vor."
Begleitet von dieser Tarantella, die wirklich eine gute Melodie ist, kommt Magda aus dem Morgenregen in die Wohnung und beginnt, Reefer für alle zu rollen. Säure bekommt einen zum Anzünden. Er hört auf zu spielen und starrt die Zigarette nachdenklich an: nickend, hin und wieder, lächelnd, auch die Stirne runzelnd. Gustav will die Nase rümpfen, doch Säure erweist sich tatsächlich als Adept der schwierigen Kunst der Papyromantie, der Fähigkeit, die Zukunft eines Menschen aus der Art zu lesen, wie er einen Reefer dreht - der Form, dem Leckmuster, den Runzeln und Falten oder deren Fehlen im Papier. "Du wirst dich bald verlieben", sagt Säure, "schau diese Linie hier." "Sie ist lang, gell? Heißt das -" "Länge bedeutet normalerweise Intensität. Nicht Zeit."
"Kurz, aber süß", seufzt Magda. "Fabelhaft, was?" Trudi kommt herüber, sie zu umarmen. Zusammen sind sie ein komisches Paar a la Mutt und Jeff, Trudi auf Absätzen mehr als einen Kopf größer als ihre Freundin. Sie wissen, wie sie nebeneinander wirken, und ziehen, wann immer ihnen Zeit bleibt, gemeinsam durch die Stadt, um sich, auch wenn's nur für Minuten ist, in die Gedanken Fremder einzuschmuggeln.
"Wie findest du diesen Schitt?" fragt Säure.
"Hübsch", räumt Gustav ein. "Ein wenig stahlig vielleicht, und die Ahnung eines Bodengeschmacks hinter seinem Körper, den man zugegebenermaßen als süffig bezeichnen kann."
"Ich hätte ihn vielleicht eher spritzig genannt", widerspricht Säure, falls das ein Widerspruch ist. "Im allgemeinen aber recht bukettreich, mehr als der letzte Jahrgang, findest du nicht?"
"Ja, für eine Kreszenz aus dem Hohen Atlas hat er durchaus seine Art. Man kann ihn geradezu als kernig bezeichnen, ja sogar - wie man es bei der sauberen Qualität der Oued-Nfis-Lagen nicht selten findet - als regelrecht pikant."
"Ich würde eigentlich eher dazu neigen, seinen Ursprung an den Südhängen des Dschebel Sarho zu vermuten", sagt Säure, "beachte das Spiel, eher glatt und blumig, und sogar eine Andeutung von Fülle in seinem würzigen Ausdruck -" "Neinneinnein, Fülle ist zu hoch gegriffen, der El-Abid-Sma-ragd von vorigem Monat hatte Fülle, doch das hier ist ganz eindeutig mehr zart als wuchtig im Charakter." In Wahrheit sind sie beide so bedröhnt, daß keiner von ihnen weiß, wovon er überhaupt redet, was auch egal ist, denn in diesem Augenblick vernimmt man ein gräßliches Gehämmer an der Tür und eine Menge Achtungs! aus dem Treppenhaus. Slothrop schreit auf und hechtet aus dem Fenster, hinaus aufs Dach und an einem verzinkten Fallrohr in den nächsten straßenwärts
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