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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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mit Major Weißmann trafen, hatte ich keinen von ihnen je gesehen. Und wir benutzten nicht unsere echten Namen. Jedem wurde ein Deckname zugeteilt. Namen aus irgendeinem Film, sagte jemand. Die beiden Kollegen von der Aerodynamik waren und . Mich nannte man ." "Was war Ihre Aufgabe?"
    "Die Trimmung. Sie wollten nichts weiter von mir, als daß ich die Schwerpunktverlagerung ausrechne, für ein Zusatzaggregat von einem gegebenen Gewicht. Die Zahl war in der höchsten Geheimhaltungsstufe. Vierzig-und-noch-was Kilo. 45? 46?"
    "Baugruppennummern?" fragt Andreas über Enzians Schulter.
    "Ich kann mich nicht mehr erinnern. Aber es war im Heckabschnitt. Ich weiß noch,
    daß die Last asymmetrisch zur Längsachse lag. Auf der Seite von Ruder III. Das
    waren die Ruder für die Scherungsdämpfung."
    "Das wissen wir."
    "Sie werden mit oder reden müssen, die haben die Sache ausgearbeitet. Oder mit dem Leitsystem." Warum habe ich das-"Warum haben Sie das gesagt?"
    "Nein, nein, es war nicht mein Ressort, das ist alles. Leitsystem, Sprengkopf, Triebwerk, die müßt ihr fragen ... Fragt die anderen." "Sie wollten auf etwas anderes hinaus. Wer arbeitete am Leitsystem?" "Ich sagte doch schon, ich kannte keine Namen." Die staubbedeckte Kaffeekantine in den letzten Tagen. Die Maschinen in den anschließenden Gängen, die Tag und Nacht das Trommelfell malträtiert haben, erbarmungslos wie Preßlufthämmer, schweigen still. Hinter der Glaswand starren die römischen Ziffern der Kontrolluhren von den Wänden der Arbeitsbuchten. Telefonkabel baumeln schwarz von ihren Galgen, jeder Stecker über seinem eigenen Pult, jedes Pult vollkommen leer, überzogen nur von dem Salzstaub, der von der Decke rieselt, keine Apparate anzustöpseln, keine Worte mehr zu sagen ... Das Gesicht des Freundes gegenüber am Tisch, das graue, übernächtigte Gesicht, zu lippenlos und hager jetzt, das einmal Bier über Achtfadens Wanderstiefel gekotzt hat, flüstert: "Ich konnte nicht mitgehen mit von Braun ... nicht zu den Amerikanern, das hieße nichts als weitermachen wie zuvor ... Ich möchte, daß es endgültig vorbei ist, sonst nichts ... leb wohl, ." "Steck ihm den Kopf in den Abfluß", schlägt Andreas vor. Sie sind alle so schwarz, so sicher...
    Ich muß der letzte sein ... irgend jemand wird ihn inzwischen geschnappt haben ... was können diese Afrikaner mit einem Namen schon anfangen ... sie hätten ihn genausogut von jemand anderem kriegen können ...
    "Er war ein alter Freund. Wir kannten uns aus Darmstadt, schon vor dem Krieg." "Wir werden ihm nichts tun. Wir werden auch Ihnen nichts tun. Wir wollen das S-Gerät."
    "Närrisch. Klaus Närrisch." Also noch ein Parameter für seinen Selbst-Koeffizienten: Verrat.
    Als Achtfaden die Rücksichtslos verläßt, hört er hinter sich eine Radiostimme, ein Funkspruch aus einer anderen Welt, blechern, von atmosphärischen Störungen zerrissen. "Oberst Enzian. M'okamanga. M'okamanga. M'okamanga." Indem Wort liegt Dringlichkeit, und Schwere. Er steht am Ufer des Kanals, umgeben von eisernen Wracks und alten Männern in der Dämmerung, und wartet, daß ihm jemand eine Richtung gibt. Aber wo ist sie jetzt, die elektrische Stimme, die unaufhörlich nach ihm rufen wird?

[3.14] 'ANUBIS', Greta, Bianca, Thanatz

    Auf einer Zille sind sie nach Osten aufgebrochen, über den Spree-Oder-Kanal, endlich unterwegs nach Swinemünde: Slothrop, um zu sehen, wohin ihn Geli Trippings Faden in Sachen Schwarzgerät führen wird, Margherita, um eine Jacht mit Flüchtlingen vor dem Lublin-Regime zu treffen, bei denen sich ihre Tochter Bianca befinden sollte. Teilstrecken des Kanals sind immer noch blockiert - bei Nacht hört man die russischen Sprengkommandos, die die Wracks mit TNT in die Luft jagen -, aber Slothrop und Greta gebieten, wie Träumer, über einen Tiefgang, der gering genug ist, sie über alles hinwegzutragen, was der Krieg in ihren Weg gelegt hat. Der Himmel beginnt sich meistens gegen Mittag zu beziehen, die Farbe von feuchtem Zement anzunehmen - dann kommt Wind auf, schärfer werdend und kälter, dann ein Regen, der oft in Graupeln überzugehen scheint und ihnen über den Kanal entgegenbläst, genau von vorn. Sie suchen unter den Persennings Schutz, zwischen Ballen und Fässern, Teer-, Holz- und Strohgerüchen. Wenn die Nächte klar sind, Unken- und Froschnächte, machen Sternschnuppen und Schatten am Ufer die Augen der Reisenden flackern. Weidenbäume säumen die Böschungen des Kanals. Um Mitternacht steigen

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