Die Enden der Parabel

glotzen. Der Wind frischt auf, bald
    werden erste Schaumkronen im Hafenbecken auftauchen. Jedes der Kinder schleppt eine Kiste oder Schachtel von anderer Form, Farbe und Größe. Der Springer steht daneben, einen Kneifer vor die Achataugen geklemmt, und hakt den Bestand in einem grünen, maroquinledernen Notizbuch ab, Schnecken in Knoblauchsauce, ein Gros ... drei Kisten Kognak ... Tennisbälle, zwei Dutzend ... ein Grammophon ... ein Film, Hans im Glück läuft Amok, drei Rollen ... Feldstecher, sechzig Stück ... Armbanduhren ... usw. Jedes Kind kriegt seinen Haken.
    Schließlich ist alles unter Deck verstaut, die Schimpansen schlafen ein, die Musiker wachen auf, die Mädchen drängeln sich um Haftung, beschimpfen ihn und zwicken ihn in die Wangen. Otto macht sich auf, die Leinen einzuholen, die ihm die Kinder vom Kai aus zuwerfen. Als die letzte vom Poller gelöst und noch in der Luft ist, ein Tränentropfenbild des ausgeweideten Swinemünde im Auge eingerahmt, nimmt Frau Gnahb, die die Ablösung vom Land in den Sohlen spürt, auf die gewohnte Weise Fahrt auf, was einen der Schimpansen fast über Bord und Haftungs Halbdutzend Schönheiten in einem gefälligen Knäuel aus Beinen, Brüsten, Hintern zu Boden gehen läßt.
    Gegenströmungen zerren am Boot, während es im breiter werdenden Trichter der Swine die offene See gewinnt. Kurz vor den Wellenbrechern, wo die Brandung durch Unterwasserlücken schäumt, die im Frühjahr gebombt worden sind aufgepaßt! wirft Frau Gnahb, ohne eine Miene zu verziehen, ihr Rad herum, braust pfeilgerade auf die Saßnitz-Fähre los und wusch! krängt im letztmöglichen Moment haarbreit vorbei, die Passagiere ankichernd, die von der Reling wegspritzen und ihr entgeistert nachstarren. "Mutter, bitte!" fleht der Stille Otto durch die Fenster des Ruderhauses. Als Antwort grölt die gute Frau ein blutrünstiges
    SHANTY.
    Die Königin bin ich der Ostsee-Piraten,
    mir legt sich keiner quer,
    Und wer's versucht hat,
    ruht jetzt still und abgenagt im Meer,
    Und Fischlein in seinen Augenhöhlen singen mit hellem Ton:
    Finger weg von der Grausen Gnahb, auf ihrer tollkühnen Mission!
    Ich leg mich mit Linienschiffen an,
    ich massakrier Schaluppen,
    Ich schicke, was mich stört, zur Höll,
    am liebsten gleich in Gruppen.
    Selbst der Holländer, der ewig fliegt,
    geht schnell auf Tauchstation, Kreuzt er den Kurs der Grausen Gnahb auf ihrer tollkühnen Mission!
    Worauf sie nach dem Maschinentelegraphen grapscht und noch einen Zahn zulegt. Schon sehen sie sich auf die Bordwand eines halb abgesoffenen Frachters zuspringen: schwarzes, konkaves Eisen, bespritzt mit Mennigrot, verkrustete Nieten und zerschrammte Platten, immer näher, immer höher - die Frau ist eindeutig übergeschnappt. Slothrop kneift beide Augen zu und klammert sich an ein Revuegirl. Mit einem Schlachtruf aus dem Ruderhaus wird der Kutter hart nach Backbord gerissen, um ein paar Schichten Ölfarbe an der Kollision vorbei. Otto, tagträumend vom Tod ertappt, schleudert in Richtung Ostsee. "Das ist ihr Sinn für Humor", stößt er aus, als er an Slothrop vorbeisegelt, der ihn am Pullover zu packen kriegt und selbst von seinem Mädchen an den Smokingschößen festgehalten wird. "Sie gerät da ein wenig an den Rand der Legalität", japst Otto, sobald er wieder halbwegs bei Atem ist, "ihr seht ja, was passieren kann. Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll."
    "Armer Kleiner", lächelt das Mädchen. "Oooch", macht Otto.
    Slothrop läßt die beiden allein, stets glücklich, wenn sich zwei junge Menschen finden, und schließt sich von Göll und Närrisch an. Frau Gnahb hat schlingernd nach Nordwest gedreht. Parallel zur Küste marschiert das Boot durch die weißgemaserte, salzriechende Pommersche Bucht. "Also, wo geht's hin, Sportsfreunde", fragt Slothrop jovial.
    Närrisch starrt ihn an. "Das ist die Insel Usedom", erklärt von Göll nachsichtig. "Sie wird auf einer Seite von der Ostsee begrenzt. Außerdem wird sie von zwei Flüssen begrenzt. Ihre Namen lauten die Swine und die Peene. Wir kommen gerade aus dem Fluß Swine. Wir waren in Swinemünde. Swinemünde bedeutet soviel wie ." "Is ja gut!"
    "Wir fahren jetzt um die Insel Usedom herum, bis wir zu einem Ort kommen, der an der Mündung des Flusses Peene liegt."
    "Aha, dann müßte der ... wart mal... Peenemünde heißen, stimmt's?" "Sehr gut."
    "Und?" Es entsteht eine Pause. "Oh. Oh. Peenemünde!"
    Närrisch, so stellt sich heraus, hat dort mal gearbeitet. Bei dem Gedanken, daß