Die Enden der Parabel
Platz geboten haben müssen. Doch schon wachsen Bäume, Buchen und Kiefern, wieder auf den Lichtungen, die für Wohn- und Verwaltungsbauten geschlagen und planiert waren - durch Risse im Pflaster, überall, wo das Leben seinen Hebel ansetzen kann, sprießt der grüne Sommer '45, und hinten auf den Hügeln stehen unberührt die dichten Wälder.
Vorbei ziehen die rußgeschwärzten Reste des Entwicklungswerks Ost, breit und flach über das Gelände verstreut. Es folgen, hintereinander aufgereiht, zum Teil gesprengt und geborsten, zum Teil verdeckt von den Dünen, die Betonmassen der Prüfstände, die Närrisch, während sie vorüberfahren, andächtig aufzählt, Stationen des Kreuzwegs, VI, V, III, IV, II, IX, VIII, I und endlich der Rakete eigenste, auf welchen sie stand, von welchen sie aufstieg, die Prüfstände VII und X. Von den Baumreihen, die sie einst gegen See abschirmten, sind nur Holzkohlenstümpfe übrig. Sie umfahren die Nordkurve der Halbinsel, Mauern und Wälle der Prüfstände weichen zurück, und nähern sich dem ehemaligen Luftwaffengelände, PeenemündeWest. Weit draußen an Steuerbord flimmern die Klippen der Greifswalder Oje durch den blauen Glast. Betonrampen, von denen die V 1, der Brummer, zu Testflügen startete, weisen auf das Meer hinaus. Rollbahnen, schrundig von Kratern, bedeckt mit Schutt und Wracks von Messerschmitt-Maschinen, schwenken vorbei, die Halbinsel hinunter: über Scheitel und Stirn des Schädels geht es wieder nach Süden, auf die Peene zu, wo backbord voraus, viele Kilometer hinter den rollenden Hügeln, der rote Backsteinturm der Kirche von Wolgast und näher, noch vor dem Dorf Peenemünde, die sechs rauchlosen Schornsteine des Kraftwerks die tödlichen Druckwellen des März überstanden haben ... Weiße Schwäne driften ins Schilf, Fasane fliegen über die hohen Kiefern landeinwärts. Irgendwo knurrt sich ein Lastwagen ins Leben.
Frau Gnahb bringt ihren Kutter in einer scharfen Wendung durch eine Einfahrt in das Hafenbecken. Sommerliche Ruhe liegt über allem: den unbewegten Bahnwaggons auf ihren Schienen, dem Soldaten, der an einem Ölfaß mit orangerotem Rand lehnt und ein Akkordeon zu spielen versucht. Vielleicht auch nur daran herumprobiert. Otto läßt die Hand seines Revuegirls los. Seine Mutter stellt die Maschine ab, er springt breit auf den Kai und macht die Leinen fest. Es folgt eine kurze Pause: Dieseldämpfe, Sumpfvögel, stilles Nichtstun ...
Eine Stabslimousine schleudert um die Ecke eines Güterschuppens und staubt zum Stillstand. Heraus aus der Fondtür hüpft ein Major, der sogar noch fetter ist als Duane Marvy, allerdings mit einem freundlicheren, leicht orientalischen Gesicht. Graue Haare ringeln sich wie Schafwolle an seinem Kopf herunter. "Ah, von Göll!" die Arme ausgestreckt, die faltigen Äuglein glitzernd vor - sind es echte Tränen? "Von Göll, mein lieber Freund!"
"Major Schdajew", nickt der Springer, über die Planke schlendernd, als hinter dem Major jetzt diese ganze Lasterladung von Soldaten im Arbeitsdrillich auffährt, irgendwie komisch, daß sie ihre Maschinengewehre und Karabiner mithaben, nur für das bißchen Ausladen...
Richtig. Bevor sich noch jemand rühren kann, sind sie schon abgesprungen und haben einen Kordon um Schdajew und den Springer gebildet, die Gewehre im Anschlag. "Kein Grund zur Aufregung", winkt und strahlt der Major, einen Arm um den Springer gelegt, schon auf dem Rückzug zum Wagen, "wir wollen Ihren Freund nur ein wenig bei uns behalten. Sie können Ihre Arbeit fortsetzen und ungehindert abfahren. Wir werden dafür sorgen, daß er sicher nach Swinemünde zurückkommt. " "Was zum Teufel", Frau Gnahb kommt knurrend aus dem Ruderhaus. Haftung erscheint, zuckt an allen Gliedern, steckt seine Hände in diverse Taschen und zieht sie wieder raus: "Wer wird da verhaftet? Was ist mit meinem Vertrag? Wird uns etwas geschehen?" Der Stabswagen fährt ab. Soldaten beginnen im Gänsemarsch an Bord zu schnüren. "Scheiße", meditiert Närrisch. "Glaubst du, daß es eine Festnahme war?"
"Ich glaube, daß Tschitscherin sein Interesse bekundet. Wie du gesagt hast." "Aber ich-"
"Nein, nein", die Hand auf dem Ärmel, "er hat recht. Du bist harmlos." "Danke."
"Ich hab ihn gewarnt, aber er hat nur gelacht. " "Tcha, was willst du jetzt machen? Ihn befreien?"
Da gibt's mittschiffs einige Aufregung. Die Russen haben eine Plane zurückgeschlagen und die Schimpansen enthüllt, welche mit Kotze bedeckt und außerdem über den Wodka gegangen
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