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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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keiner da, ihnen entgegenzutreten. Sie kommen zu spät. Hier ist nur noch das stumme Bett, und die braune Ellipse ihres Blutes auf dem zerfetzten Drillich. Und körnige Spritzer von Waschblau sind zu sehen, in den Ecken, auf dem Boden ... die Visitenkarte, der Fehdehandschuh der Leeren.
    "Wo ist sie -" Christian knapp davor, Amok zu laufen. Ein unbedachtes Wort, und er wird losrasen, um den ersten besten Leeren abzuschlachten, der ihm begegnet. Maria, seine Schwester, sie ist, sie war, sie könnte womöglich -"Wir sollten lieber -" Enzian ist schon wieder zur Tür raus, "wo steckt denn, äh ... ihr Mann, du weißt schon ... " "Pavel." Christian will seine Augen sehen, doch Enzian dreht sich nicht um. Pavel und Maria wollten das Kind haben. Dann begannen Josef Ombindi und seine Leute mit ihren Besuchen. Sie haben ihre Geiernatur von den christlichen Missionaren gelernt. Sie führen Listen aller Frauen im gebärfähigen Alter. Jede Schwangerschaft ist ihnen eine Einladung, sich in der Nähe herumzutreiben, sich abzusprechen und gemeinsam niederzustoßen. Sie arbeiten mit Drohungen, Spitzfindigkeiten, physischer Verführung - einem ganzen Arsenal von Techniken. Waschblau ist das Abtreibungsmittel ihrer Wahl. "Die Raffinerie", schlägt Andreas Orukambe vor. "Wirklich? Ich dachte, dem hätte er abgeschworen?"
    "Jetzt vielleicht nicht mehr." Der Bruder des Mädchens starrt ihn mit Augen an, die hart sind wie geballte Fäuste. Enzian, du alter Bastard, du hast wirklich den Kontakt verloren . ..
    Sie steigen wieder auf ihre Motorräder und fahren weiter. Gesprengte Trockendocks, Holzkohlengerippe von Lagerschuppen, zylindrische Segmente von U-Booten, die nicht mehr zusammengebaut worden sind, huschen in der Dunkelheit vorüber. Englische Polizeistreifen sind unterwegs, doch das ist eine andere, abgekapselte Welt. Die britische G 5 beherrscht einen Raum, der zwar deckungsgleich, aber nicht identisch ist mit der Zone, durch die das Schwarzkommando heute nacht auf seinen schalldämpferlosen Motorrädern donnert.
    Die Trennungsprozesse haben sich beschleunigt. Jede alternative Zone entfernt sich mit immer größer werdender Geschwindigkeit, immer tiefer ins Rot verschoben, von allen anderen, flieht das gemeinsame Zentrum. Mit jedem Tag wird die mythische Heimkehr, von der Enzian träumte, weniger wahrscheinlich. Früher mußte man Uniformen, Embleme, Flugzeugkennzeichen kennen, um die Grenzen zu beachten. Doch inzwischen sind zu viele Entscheidungen getroffen worden. Die eine Wurzel ist verlorengegangen, nicht mehr rekonstruierbar in den Verheerungen des Mai. Jetzt hat jeder Vogel seinen eigenen Zweig, und jeder ist die Zone. Neben der Ruine einer Springbrunnenanlage blockiert eine Gruppe von DPs die Durchfahrt, zwanzig Leute etwa, ihre Augen wie Asche, geschmiert in Gesichter, die weiß sind wie Salz. Die Hereros weichen ihnen über flache, lange Stufen aus, die in die Neigung des Bürgersteigs eingelassen sind, ihre Zähne schlagen hart aufeinander, die Rahmen der Motorräder ächzen schrill, slawisch beatmete Sprenglaute wehen wortlos vorbei. Asche und Salz. Hundert Meter weiter taucht hinter einer Mauer ein Lautsprecherwagen auf, rezitiert eine Stimme, universitätsgeschult und längst ihrer Botschaft müde: "Räumen Sie die Straße. Gehen Sie nach Hause." Die was räumen? Wohin gehen? Die Durchsage muß ein Irrtum sein, muß einer anderen Stadt gelten...
    Whirrr unter einer Ölpipeline hindurch, die auf einem Stahlgerüst nach links zum Wasser läuft, die breiten, verschraubten
    Bördelränder über ihren Köpfen verschmiert von Rost und öligem Staub. Weit draußen im Hafenbecken schwimmt ein Öltanker, schaukelt gelassen gleich einem Netz aus Sternen ... Zoooom eine schräge Böschung empor zu einem Wall aus geborstenen, knorrigen, verbrannten und versengten Gerüsten, Schornsteinen, Röhren, Leitungen, Flaschenzügen, Verschalungen, Isolatoren, die von all den Bombardierungen neu zusammengesetzt worden sind, über ölverschmierte Pflastersteine, die mit einem Tempo von - Moment! Wart mal, wart mal, was soll denn das nun wieder heißen: "neu zusammengesetzt"}
    Enzian dämmert nicht eigentlich, nein, es explodiert in ihm -so wie das Licht, das du fürchtest, weil es zu einer Stunde der Nacht kommt, in der es keine Erklärung mehr dafür gibt -, es überflutet ihn etwas, das ihm ein außerordentliches Begreifen zu sein scheint: Dieser geschlängelte Schlackehaufen, in den er gleich einfahren wird, diese ehemalige

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