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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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sie nicht sterben werden. Daß es jetzt durchaus im Bereich ihrer Kunstfertigkeit liegt, für immer weiterzumachen - während wir natürlich weiterhin sterben werden wie zuvor. Der Tod war die Quelle ihrer Macht. Das war für uns leicht genug zu erkennen. Wenn wir nur einmal hier sind, ein Mal und nicht mehr, dann doch eindeutig zu dem Zweck, uns zu nehmen, soviel wir können in der Zeit, die uns bleibt. Wenn sie soviel mehr genommen haben, und das nicht nur von der Erde, sondern auch von uns, nun, weswegen sollten wir ihnen das mißgönnen, wenn sie doch genauso zum Tod verdammt sind wie wir alle ? Alle im selben Boot, alle unter dem gleichen Schatten... ja ... ja. Aber ist dem wirklich so? Oder handelt es sich hier vielleicht um die beste, die am sorgfältigsten propagierte von allen ihren Lügen, den bekannten wie den unbekannten?
    Wir müssen uns mit der Möglichkeit vertraut machen, daß wir ausschließlich deshalb sterben, weil sie es so wollen: weil sie unserer Angst bedürfen, um selbst zu überleben. Wir sind ihre Ernten...
    Für unseren Glauben muß das einen radikalen Umbruch mit sich bringen. Zu verlangen, daß wir uns weiterhin den Glauben an ihre Sterblichkeit bewahren, den Glauben, daß auch sie Tränen kennen und Angst und Schmerz, den Glauben, daß sie nur vorgeben, den Tod zu beherrschen, den Glauben also an den Tod als unser aller Meister, bedeutet eine Kategorie von Mut zu fordern, von der ich weiß, daß sie jenseits meiner eigenen Menschlichkeit liegt - obwohl ich natürlich nicht für andere sprechen kann ... Könnten wir uns, statt einen solchen Sprung des Glaubens zu versuchen, nicht vielleicht viel eher entschließen, umzukehren und zu kämpfen? von jenen, für die wir sterben, unsere eigene Unsterblichkeit zu fordern? sie mögen nicht mehr in den Betten sterben, aber vielleicht ist es immer noch möglich, sie durch Gewalt zu töten? Und wenn nicht, so können wir doch zumindest lernen, unsere Angst vor dem Tod vor ihnen zu verbergen. Für jeden Vampir gibt es ein Kreuz. Und wenigstens die materiellen Dinge, die sie der Erde und uns geraubt haben, können niedergerissen und zerstört werden - dem zurückgegeben, woraus sie stammen. Wenn wir annehmen, daß sie als Personen sterblich sind, nehmen wir auch die Sterblichkeit ihres Systems an - die Chance einer Erneuerung, einer Dialektik, die noch in der Geschichte wirkt, ihre Sterblichkeit zu bekräftigen bedeutet, die Wiederkehr zu bekräftigen. Daß es dabei gewisse Hindernisse gibt, habe ich schon erwähnt..." Es klingt wie ein Widerruf, und der Priester scheint verängstigt. Pirat und das Mädchen haben ihm vor dem Eingang zu einem Sitzungssaal zugehört, den Pirat eigentlich betreten wollte. Er fragt sich, ob sie mit ihm hineingehen wird. Nein, wahrscheinlich nicht. Es ist genau die Art Raum, die er gefürchtet hat. Ausgezackte Löcher in den Wänden, wo offensichtlich etwas eingedübelt war, sind grob mit Gips verschmiert. Die anderen, die ihn zu erwarten scheinen, haben sich die Zeit mit Spielen vertrieben, deren Einsatz in erster Linie Schmerz zu sein scheint, zum Beispiel Charley-Charley, Hits and Cuts oder Schere, Stein, Papier. Von nebenan dringt das Geräusch von spritzendem Wasser und ausschließlich männlichem Gekicher herüber, unterlegt mit leichtem Fliesennachhall. "Und jetzt", hört man eine geölte Radiostimme, "ist es Zeit - die Seife fallen zu lassen!" Applaus und Schreie von Gelächter, beides unerfreulich lange andauernd.
    "Die Seife fallen lassen?" Sammy Hilbert-Spaess schlendert hinüber zu der dünnen Trennwand und steckt seine Nase um die Ecke, damit er auch was sehen kann. "Laute Nachbarn", bemerkt der deutsche Filmregisseur Gerhardt von Göll. "Hört das denn niemals auf?"
    "Hullo, Prentice", nickt ihm ein Schwarzer zu, den Pirat nicht erkennt, "sieht so aus, als ob wir Schulkameraden sind." Was ist das hier, wer sind all diese - Sein Name lautet St.-Just Grossout. "Die meiste Zeit des Krieges hat die Firma versucht, mich ins Schwarzkommando einzuschleusen. Ich hab nie jemand anderen gesehen, der das probiert hätte. Es klingt ein bißchen paranoid, aber ich glaub wirklich, ich war der einzige ..." Dieser unverhohlene Bruch der Geheimhaltung, wenn es denn einer ist, läßt Pirat ein wenig zusammenzucken.
    "Glaubst du, du könntest mir mal kurz zusammenfassen, was hier los ist?" "Oh, Geoffrey! Ja, du liebe Güte!" Sammy Hilbert-Spaess kehrt von der Betrachtung der Duschraum-Späße zurück, den Kopf schüttelnd, der

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