Die Enden der Parabel
Schnee in Glückstadt hier? Schneit es im Winter?"
"Ob was im Winter schneit?"
"Willst mich wohl einwickeln?"
"Nö. Ich würd lieber Wein picheln", singt diese Flasche von Maschine, "und dann solltest du die Schwestern rennen sehen!
Also, was ist sonst noch neu, Sportsfreund?" Die Watschelkreatur kaut doch tatsächlich einen Kaugummi, genauer gesagt: eine von Laszlo Jamf ersonnene PVC-
Variante von größter Elastizität, die sogar einzelne, abspaltbare Moleküle aussendet, welche durch ein ingeniöses, bei Siemens entwickeltes osmo-elektri-sches Schaltwerk in Form codierter Stromimpulse eine verdammt gute Annäherung an Beemans Lakritzenaroma ins Hirn der Roboterkrabbe funken. "Mister Information beantwortet immer alle Fragen!"
"Für das, was er macht, würd ich sogar Antworten in Frage stellen. Ob es Schnee gibt in Glückstadt? Natürlich gibt es Schnee hier. Ein Haufen Schneemänner wärn ganz schön sauer, wenn dem nicht so wäre."
"Ich erinnere mich, daheim in Wisconsin, daß der Wind immer Schneewehen über die Bürgersteige und vor die Häuserfronten blies. Schneehaufen vor den Türen, wie Besucher, die eingelassen werden wollten ... passiert so was auch hier in Glückstadt?"
"Olle Kamellen", sagt der Roboter.
"Und machen dann die Leute jemals ihre Haustüren auf, wenn dieser Wind bläst? Na?"
"Klar. Tausende von Malen."
"Dann", geiert der Colonel, "wenn nämlich die Tür des Hauses Nase ist, und die Tür geöffnet wird, u-und die ganzen schneeweißen Kristalle aus der Backformen-Straße vom Wind in einer großen Wolke mitten in die -"
"Aaagghh!" heult der Plastikroboter auf und macht sich durch eine enge Nebengasse aus dem Staub. Der Colonel bleibt allein in einem braunen, von wildem Wein gealterten Bezirk der Stadt zurück: Sandstein- und Lehmfarben ziehen sich über eine Folge von Mauern, Dachfirsten und Straßen dahin, nirgends ein Baum, und wer ist's, der ihm da durch die Schokoladestraße entgegengeschlendert kommt? Sieh an, es ist Laszlo Jamf persönlich, in einer Art von festgeschriebenem Alter, bewahrt gleich einem '37er-Ford vor allem Auf und Ab der Welt, das hier in Glückstadt ohnedies zu den gedämpften Variationen eines stetig-breiten Lächelns abgeklungen ist, zwischen zahnend und versonnen. Dr. Jamf trägt eine Fliege in einem gewissen GrauLavendel-Ton, einer Farbe für langsam verdämmernde Nachmittage hinter Konservatoriumsfenstern, Klavierlieder in Molltonarten, die von längst vergangenen Tagen handeln, getragenklagende Pianos, Kringel von Pfeifenrauch in muffigen Salons, Spaziergänge am Sonntag an den Ufern von Kanälen bei bedecktem Himmel ... und hier stehen die beiden Männer, präzise, sorgsam von einem Abziehbild gerieben auf diesen Nachmittag, und die Glocken auf dem anderen Ufer des Kanals schlagen die volle Stunde an: beide sind sie von sehr weit gekommen, haben beide eine Reise hinter sich, an die sie sich nicht recht erinnern, haben beide eine Mission. Doch keiner ist sich über die Rolle im klaren, die der andere spielen wird ...
Es stellt sich nun heraus, daß die nackte Glühbirne über dem Kopf des Colonels hier identisch ist mit jener Osram-Birne, unter deren Schein Franz Pökler in seiner Koje im Tunnel der Mittelwerke bei Nordhausen einst zu schlafen pflegte. Rein statistisch (so erzählen sie die Story) fällt jede so-und-sovieltausend-ste Glühbirne technisch perfekt aus, alle delta-qs ziehen am selben Strick, und so sollten wir nicht übermäßig überrascht sein, daß diese Birne hier noch immer in Betrieb ist und hell leuchtet. Die Wahrheit aber ist noch wesentlich erstaunlicher: diese Glühbirne ist unsterblich! Sie brennt tatsächlich bereits seit den zwanziger Jahren, trägt noch den altväterlicherhabenen Punkt am Scheitel und ist weniger schlank und birnenförmig als die modernen Exemplare. Was für 'n Leben, diese Birne - wenn sie nur sprechen könnte und davon erzählen... Tja, wenn's sonst nichts ist: sie spricht. Sie ist es, die heute nacht die muskulären Modulationen von Paddy McGonigles Generatorkurbelei diktiert, was eine Schleife gibt, durch Paddy an den Generator rückgekoppelt. Hier ist sie also,
DIE GESCHICHTE VON BYRON, DER BIRNE
Byron hätte ursprünglich von Tungsram in Budapest hergestellt werden sollen. In diesem Fall wäre er wahrscheinlich dem Vertreter-As Sandor Rozsavölgyi, dem Vater von Geza, in die Hände gefallen, der ganz Transsylvanien bereiste und dort dermaßen heimisch zu werden begann, daß sich im Stammhaus schon
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