Die Erbin
schafften es, kurz über das Abendessen am Tag vorher zu plaudern. »Was ist los?«, fragte Jake schließlich ohne Umschweife.
Sie schloss die Augen, rieb sich mit den Fingern die Stirn und begann zu reden. »Wir haben die ganze Nacht nicht ge schlafen. Es gab einen Riesenstreit. Simeon hatte getrunken, nicht viel, aber es reichte, um ihn zur Weißglut zu treiben. Momma und ich sagten, dass Sistrunk gehen müsse. Das gefiel ihm natürlich nicht, und dann fing der Streit an. Das Haus ist mit Leuten vollgestopft, und wir streiten wie ein Haufen Idioten. Irgendwann ist er gegangen, und seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass meine Mutter alles unterschreiben will, was notwendig ist, um die Anwälte aus Memphis loszuwerden.«
Jake ging zu seinem Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und gab es ihr. »Hier steht lediglich drin, dass sie ihn feuert. Das ist alles. Wenn sie das unterschreibt, sind wir im Geschäft.«
»Was ist mit Simeon?«
»Er kann so viele Anwälte engagieren, wie er will, aber er steht nicht im Testament und ist daher auch keine betroffene Partei. Richter Atlee wird ihn nicht zur Verhandlung zulassen und seine Anwälte auch nicht. Simeon ist draußen. Hier geht es um Lettie und die Familie Hubbard. Wird sie unterschreiben?«
Portia stand auf. »Ich bin gleich wieder da.«
»Wo ist sie?«
»Draußen im Wagen.«
»Bitte sagen Sie ihr, dass sie reinkommen soll.«
»Sie will nicht. Sie hat Angst, dass Sie böse auf sie sind.«
Jake konnte es nicht glauben. »Portia, bitte. Ich mache uns Kaffee, und dann reden wir. Holen Sie Ihre Mutter.«
Sistrunk hatte es sich auf dem unteren Stockbett bequem gemacht und las, einen Stapel Anträge und Schriftsätze auf dem Bauch. Sein Zellengenosse saß in der Nähe und hatte die Nase in einem Taschenbuch vergraben. Metall klirrte, die Tür wurde entriegelt, dann stand wie aus dem Nichts Ozzie in der Zelle. »Gehen wir, Booker«, sagte der Sheriff. Er gab Sistrunk dessen Anzug, der zusammen mit Hemd und Krawatte auf einem Klei derbügel hing. Schuhe und Socken waren in einer braunen Papiertüte.
Sie schlichen durch eine Hintertür auf den Parkplatz, wo Ozzies Wagen stand. Eine Minute später hielten sie hinter dem Gerichtsgebäude und eilten hinein. Die Gänge waren leer, sie wurden von niemandem gesehen. Im zweiten Stock betraten sie das kleine Vorzimmer von Richter Atlees Büro. Die Gerichtsstenografin, die auch seine Sekretärin war, wies auf eine Tür. »Sie warten schon«, sagte sie.
»Was ist hier los?«, murmelte Sistrunk mindestens zum vier ten Mal. Ozzie gab keine Antwort. Er stieß die Tür auf. Am Ende eines langen Tisches thronte Richter Atlee, wie immer in einem schwarzen Anzug, aber ohne seine Robe. Rechts von ihm saßen Jake, Lettie und Portia. »Setzen Sie sich, meine Herren«, sagte der Richter, während er auf die Stühle zu seiner Linken wies. Sie folgten der Aufforderung, und der Sheriff nahm so weit wie möglich von den anderen entfernt Platz.
Sistrunk starrte Jake und Lettie über den Tisch hinweg an. Es fiel ihm schwer, den Mund zu halten, aber er schaffte es. Er hatte die Angewohnheit, zuerst zu schießen und Fragen gegebenenfalls später zu stellen, doch der gesunde Menschenverstand riet ihm, sich zurückzuhalten und nichts zu tun, was den Rich ter verärgern würde. Portia sah aus, als wollte sie sich jeden Augenblick auf ihn stürzen. Lettie starrte auf ihre Hände, während Jake auf einem Notizblock herumkritzelte.
»Sehen Sie sich das bitte an«, sagte Richter Atlee zu Sistrunk, während er ein Blatt Papier über den Tisch schob. »Sie sind gefeuert.«
Sistrunk las den kurzen Absatz, dann ging sein Blick zu Lettie. »Haben Sie das unterschrieben?«, fragte er.
»Ja.«
»Unter Zwang?«
»Bestimmt nicht«, fuhr Portia ihn an. »Sie hat sich dafür ent schieden, auf Ihre Dienste zu verzichten. Da steht es, schwarz auf weiß. Verstehen Sie das?«
»Wo ist Simeon?«
» Weg«, erklärte Lettie. » Wann er wiederkommt, weiß ich nicht.«
»Ihn vertrete ich immer noch«, sagte Sistrunk.
»Er ist keine betroffene Partei«, warf Richter Atlee ein. »Daher wird er auch nicht am Verfahren teilnehmen dürfen, genauso wenig wie Sie.« Er nahm ein zweites Blatt Papier und reichte es weiter. »Das ist eine Anordnung, die ich gerade unterschrieben habe. Damit wird Ihre Festnahme wegen Missachtung des Gerichts aufgehoben. Da Sie in dieser Angelegenheit nicht länger tätig sind,
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