Die Erbin
unterhielten sie sich ein paar Minuten lang über ihre persönlichen Verhältnisse, während sie die Speisekarte studierten. Fran Decker war eine pensionierte Lehrerin aus Lake Village, fünfzehn Kilometer südlich von Clanton. Charles Ozier verkaufte für eine Firma aus Tupelo Traktoren und lebte in der Nähe des Sees. Debbie Lacker wohnte im Zentrum von Palmyra mit seinen dreihundertfünfzig Ein wohnern, war aber Seth Hubbard nie begegnet. Nachdem sie über die Sache nicht sprechen durften, unterhielten sie sich über den Richter, den Sitzungssaal und die Anwälte. Dell spitzte die Ohren, hörte aber nichts, was sie Jake hätte berichten können, falls dieser später vorbeikam, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln.
Um 13.15 Uhr bezahlte jeder seine eigene Rechnung, und sie kehrten in den Sitzungssaal zurück. Als um 13.30 Uhr alle achtunddreißig vollzählig versammelt waren, erschien Richter Atlee aus dem Raum hinter dem Saal und begrüßte die Anwesenden. Er erklärte ihnen, dass er bei der weiteren Auswahl der Ge schworenen von der üblichen Vorgehensweise abweichen werde. Die Geschworenen sollten im Richterzimmer einzeln von den Anwälten befragt werden.
Jake hatte das beantragt, weil er davon ausging, dass die Geschworenen generell mehr über die Sache wussten, als sie in der Gruppe zugeben wollten. Er setzte darauf, dass sie bei einer Einzelbefragung aufrichtigere Antworten gaben. Wade Lanier erhob keine Einwände.
»Mr. Nevin Dark, würden Sie bitte ins Richterzimmer kommen?«, sagte Richter Atlee.
Ein Gerichtsdiener zeigte ihm den Weg, und Nevin ging nervös am Richtertisch vorbei durch eine Tür, die zu einem kurzen Gang und einem relativ kleinen Raum führte, in dem alle schon auf ihn warteten. Eine Gerichtsstenografin saß bereit, jedes Wort zu protokollieren. Richter Atlee hatte an einem Ende des Tisches Platz genommen, die Anwälte drängten sich um den restlichen Tisch.
»Bitte denken Sie daran, dass Sie unter Eid stehen, Mr. Dark«, sagte Richter Atlee.
»Selbstverständlich.«
Jake Brigance bedachte ihn mit einem aufrichtigen Lächeln. »Manche Fragen könnten sehr persönlich werden, Mr. Dark, und wenn Sie nicht antworten wollen, ist das Ihr gutes Recht. Haben Sie das verstanden?«
»Ja.«
»Haben Sie im Augenblick ein Testament?«
»Ja.«
»Wer hat das verfasst?«
»Barney Suggs, ein Anwalt in Karaway.«
»Und Ihre Frau?«
»Auch, wir haben beide gleichzeitig vor etwa drei Jahren in der Kanzlei von Mr. Suggs unterzeichnet.«
Ohne sich weiter nach Einzelheiten des Inhalts der Testa mente zu erkundigen, hakte Jake bei den Umständen nach, die zu ihrer Entstehung geführt hatten. Was hatte sie veranlasst, ein Testament zu machen? Wussten ihre Kinder, was in den Testamenten stand? Hatten sie sich gegenseitig zu Testamentsvollstreckern ernannt? Wie oft hatten sie ihren Letzten Willen geändert? Waren sie jemals von jemand anders in einem Testament bedacht worden? Glaubte er, Nevin Dark, dass jeder das Recht hatte, sein Eigentum zu vererben, an wen er wollte? Auch an Personen, die nicht zur Familie gehörten? An Wohltätigkeitsorganisationen? An Freunde oder Mitarbeiter? Auch wenn dafür Familienmitglieder, die es sich mit dem Erblasser verscherzt hatten, leer ausgingen? Hatten Mr. Dark oder seine Frau je daran gedacht, ihre Testamente zu ändern, um einen gegenwärtig Begünstigten auszuschließen?
Und so weiter. Als Jake fertig war, stellte Wade Lanier eine Reihe von Fragen zu Medikamenten und Schmerzmitteln. Nevin Dark erklärte, er gehe damit sehr sparsam um, aber seine Frau habe Brustkrebs gehabt und damals starke Schmerzmittel genommen. Wie die Medikamente hießen, wisse er nicht mehr. Lanier zeigte sich aufrichtig besorgt um die Frau, der er nie begegnet war, und bohrte so lange nach, bis alle verstanden hatten, dass starke Schmerzmittel, wie sie bei schweren Krankheiten eingenommen wurden, oft zu einer Beeinträchtigung des rationalen Denkens führten. Die Saat wurde geschickt gelegt.
Richter Atlee behielt die Uhr im Auge und beendete die Befragung nach zehn Minuten. Nevin kehrte in den Sitzungssaal zurück, wo ihn alle erwartungsvoll ansahen. Geschworene Num mer zwei, Tracy McMillen, wartete auf einem Stuhl neben dem Richtertisch und wurde rasch ins Hinterzimmer geführt, wo ihr dieselben Fragen gestellt wurden.
Die Langeweile wurde unerträglich, und viele Zuschauer verließen den Raum. Manche der Geschworenen hielten ein Nickerchen, während andere immer wieder dieselben
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