Die Evangelistin
Shaprut hatte geschrieben: ›Du bist ein Stein. Und auf dir will ich mein Haus des Gebets bauen.‹ Eine Synagoge, keine Kirche!
Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit, Jeschuas hebräische Worte aus dem Textzusammenhang zu übersetzen: ›Ja, ich sage dir, Petrus, auf diesem Felsen werde ich meine Gemeinde errichten‹ – auf dem felsenfesten Bekenntnis zu Jeschua als Messias und der von Gott selbst offenbarten Wahrheit seiner Gottessohnschaft, nicht auf Petrus als erstem Papst.
Die Übersetzung war völlig korrekt und sehr poetisch – und trotzdem häretisch!
Denn welche Gemeinde meinte Jeschua? Die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem unter der Führung seines Bruders Jakob? Oder die heidenchristlichen Gemeinden in Thessaloníki, Philippi, Ephesos, Korinth und Rom, an die Paulus, der Häretiker, seine Briefe geschrieben hatte?
Verzweifelt verwarf ich das ›Tu es Petrus …‹ und wühlte mich durch den Talmud, den zu lesen mich Elija in Rom gelehrt hatte.
Was sollte ich schreiben?
Tristan verlangte von mir das Werk eines hoch geachteten jüdischen Schriftgelehrten, einer Leuchte des Judentums! Wie sollte ich als Humanistin in wenigen Tagen dieses Buch schreiben oder zumindest beginnen? Nur um die zwölf Bände des babylonischen Talmud zu lesen, würde ich mehrere Monate benötigen – und um sie zu verstehen, den Rest meines Lebens.
Ich konnte dieses Buch nicht schreiben!
Was sollte ich nun tun?
›Dies ist mein Blut, das für viele vergossen wird!‹
Nur drei Finger schreiben, aber der ganze Körper leidet!, dachte ich, als ich Jakob beobachtete, wie er mit kratziger, widerspenstiger Feder diesen Satz aufs Papier warf, die Feder zurück ins Tintenfass steckte und im Talmud blätterte. Ja, er litt – wie ich.
»Du verrätst ihn!«, hatte mir Jakob vor einer Stunde wütend vorgeworfen.
»Ich verrate ihn, um sein Leben zu retten!«, hatte ich erwidert. »Ich habe keine Wahl, als dieses Buch zu schreiben. Aber ich kann es nicht ohne dich, Jakob!«
Er hatte sich abgewandt und war wie ein Gehetzter durch sein Arbeitszimmer gerannt.
»Elijas Name wird auf diesem Buch stehen – das ist für ihn demütigend genug«, hatte ich auf Jakob eingeredet. »Aber dann lass seinen Namen doch wenigstens auf einem exzellenten und seines Namens würdigen Buch stehen, und nicht auf einem furchtbar schlechten. Wenn du mir helfen kannst, es aber nicht tust, weil dich dein Gewissen quält, dann verrätst du ihn, wie ich ihn verrate.«
Kopfschüttelnd hatte er sich umgewandt.
»Du verlangst von mir, dass ich ein christliches Buch schreibe!«, war er aufgebraust. »Ein anti-jüdisches christliches Buch! Weißt du, dass die Gojim in Köln meine Frau auf offener Straße erschlagen und ihre Leiche geschändet haben? Weißt du, dass sie in Worms beinahe Yehiel getötet hätten und ich ihn nur mit knapper Not retten konnte? Mein Sohn war damals sieben Jahre alt! Seit diesem Kampf um sein Leben ist mein rechter Arm gelähmt. Sie haben meinen kleinen Sohn und mich beinahe totgeschlagen – wie man Ratten totschlägt.
Du erwartest also von mir, dass ich ein christliches Buch schreibe! Ein Buch, das in Glaubensdisputationen, wie Elija sie in Córdoba führen musste, gegen uns Juden verwendet werden kann, um uns von Gott Verfluchte zu widerlegen und zu bekehren und, wenn wir allzu uneinsichtig und verstockt sind, eine Zwangstaufe zu rechtfertigen – und unsere Verbrennung auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Ein Buch, das der Anlass für weitere Verfolgungen, Demütigungen, Misshandlungen und Morde sein wird. Das kannst du nicht von mir verlangen!«
»Du hast Recht«, hatte ich niedergeschlagen erwidert. »Aber ich nahm an, du wolltest nicht die Hände in den Schoß legen und ohnmächtig zusehen, wie nach deiner Frau auch noch dein bester Freund stirbt. Ich dachte, nach den furchtbaren Erlebnissen in Köln und Worms würdest du wenigstens alles versuchen, um ein einziges Leben zu retten. Sein Leben.« Ich hatte mich von meinem Stuhl erhoben. »Versteh mich bitte nicht falsch, Jakob! Ich mache dir keine Vorwürfe, weil du nicht alles versucht hast, um Elijas Leben zu retten. Ich bin nur sehr … traurig.«
Ich war zur Tür gegangen. »Schalom, Jakob.«
»Warte, Celestina!«, hatte er mich bestürzt aufgehalten. »Was wirst du nun tun?«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte so sehr gehofft, dass du mir hilfst. Aber nun … Ich werde nach Bologna reiten. Mariettas Bruder ist beim Papst in Bologna. Angelo war Rabbi, bevor
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