Die Evangelistin
meinem Lachen mitreißen.
»Weil die Kirche kurz vor dem Zusammenbruch steht und dringend einer Reform bedarf – vom geborstenen Fundament und den brüchigen Säulen bis zum einsturzgefährdeten Dachstuhl«, erwiderte ich, nun wieder ernst. »Weil schon etliche Päpste daran gescheitert sind, denn sie fürchteten, dass die herabfallenden Trümmer sie erschlagen könnten.
Wusstest du, wie die Eröffnungsrede des Konzils im Mai 1512 lautete? ›Die Menschen müssen durch das Heilige umgestaltet werden, nicht das Heilige durch die Menschen.‹ Ich war enttäuscht, als ich diese Worte hörte: Kein Bestreben zu einer ernsthaften Kirchenreform durch das Konzil!
Wusstest du, dass es zwei Venezianer waren, die dann 1513 Papst Leo eine Denkschrift über die Kirchenreform übergaben? Eine Denkschrift, die nicht nur die Missstände in der Kirche schonungslos aufdeckte, sondern auch ganz konkrete Reformvorschläge machte? Und was hat es gebracht? Nichts.
Wusstest du, dass vor einigen Monaten ein spanisches Memorandum forderte, ›das Gericht müsse im Hause des Herrn beginnen‹? Und was ist geschehen? Nichts.
Wusstest du, dass die Kardinäle in der letzten Sitzung vom 4. Mai über die Bücherzensur debattiert haben? Klingt das nach Reform? Nach Freiheit?«
»Nein«, stimmte Elija zu. »Und woher weißt du das alles?«
»Ich kenne Giovanni de’ Medici aus der Zeit, als er noch Kardinal war. Vor Jahren haben er und sein Cousin Giulio, der jetzige Kardinalerzbischof von Florenz, in der Ca’ Tron gewohnt, als sie beide in Venedig waren. Wir kennen uns also sehr gut. Seit dieser Zeit schreiben wir uns sehr persönliche Briefe. Gianni hat auch mein Manuskript gelesen.« Ich wies auf die Blätter, die auf dem Boden verstreut lagen.
Elija schwieg und betrachtete mich in Gedanken vertieft.
»Warum siehst du mich so an?«, fragte ich irritiert. »Hast du Angst bekommen, weil ich den Papst Gianni nenne? Willst du nun doch nicht mehr mit mir zusammenarbeiten?«
»Doch, das will ich! Mehr denn je!«
»Das fünfte Laterankonzil wird die Kirche nicht reformieren. Es wird die geborstenen Säulen der Macht weiter abstützen, die rissigen Fresken neu verputzen und nochmals schön bunt übermalen – und weiter hoffen, dass nicht alles zusammenbricht.«
»Ich will nicht die Kirche, sondern den christlichen Glauben reformieren.«
Ich sprang auf, ging zum Fenster hinüber und sah auf den Canalazzo hinunter, der im rotgoldenen Licht des Sonnenuntergangs funkelte.
An der Anlegestelle der Ca’ Contarini, die meinem Palazzo gegenüberlag, saß ein Mann in einer Gondel und schien auf etwas zu warten. Als er bemerkte, dass ich am Fenster stand und zu ihm hinuntersah, wandte er sich ab. Wer war der Mann?
Als Elija weitersprach, drehte ich mich zu ihm um und lehnte mich gegen eine der Säulen, die die Fenster unterteilten.
»Glaubst du denn«, fragte er sehr ernst, »dass es mir nur darum geht, in Rom zwei oder drei Disputationen zu gewinnen? Meinen und Jeschuas Glauben zu verteidigen? Die Kardinäle niederzureden, ihre griechischen und hebräischen Sprachkenntnisse zu prüfen, ihr Wissen über die Tora, die Propheten und die Evangelien zu erforschen, ihren Glauben Wort für Wort zu widerlegen und am Ende den Papst als Nachfolger des Schimon Kefa, genannt Petrus, zu beschämen?
Ein berühmter Rabbi, Mosche Cohen von Tordesillas, sagte einmal: ›Lasst euch in eurem Glaubenseifer niemals zu einem Angriff auf den christlichen Glauben verführen, denn die Christen haben die Macht und können die Wahrheit mit Faustschlägen zum Schweigen bringen.‹
Und ein anderer berühmter Rabbi, Jeschua der Nazoräer*, forderte in seiner Bergpredigt: ›Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Liebt eure römischen Feinde, meine jüdischen Brüder, denn sie sind wie ihr!‹
Nur hält sich leider niemand an diese weisen Ratschläge – es wird auf beiden Seiten, von christlichen Theologen und jüdischen Rabbinen, erbittert aufeinander eingeschlagen. Nein, Celestina, diese Art von Disputationen, die im Auto de Fé enden können, habe ich vor sechs Jahren in Córdoba erfolgreich gegen Kardinal Cisneros geführt. Ich will mehr, viel mehr erreichen!«
»Was?«
»Ich will den Menschen Hoffnung geben – und einen neuen Glauben. Ich will ihnen die Wahrheit über Jeschua erzählen, der weder Jesus noch Christus war. Ich will den Menschen einen Weg ins verloren geglaubte Paradies zeigen, einen Weg, den Juden und Christen gemeinsam gehen
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