Die Fahrt des Leviathan
aufgewiegelt haben und Blut vergossen wird.
Rasch schüttelte er die finsteren Überlegungen ab. Es gab noch anderes zu tun. »Wie steht es mit den Vorkehrungen für die Sicherheit des Königs?«, erkundigte er sich und wandte sich wieder vom Fenster ab.
»Die Vorbereitungen sind abgeschlossen«, antwortete Heinze. »Alle Schutzmänner und Polizeidiener haben ihre Anweisungen. Die Gendarmen sind –«
Er wurde von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Auf Pfeyfers Erlaubnis zum Eintreten kam ein Soldat mit einem Brief in der Hand herein, stand stramm und meldete: »Der Herr Oberpräsident hat mich angewiesen, dem Herrn Major dieses Kuvert zu überbringen.«
Pfeyfer nahm den schneeweißen Umschlag entgegen, öffnete ihn und zog eine goldgeränderte Karte hervor. Er las die aufgedruckten Worte und hob dabei verdutzt die Augenbrauen.
»Was ist es?«, wollte Heinze wissen. »Komm, spann mich nicht auf die Folter!«
»Eine Einladung für den Ball zu Ehren des Königs«, erwiderte Pfeyfer verwundert und schaute ein zweites Mal auf die Karte, um sicherzugehen, dass es sich um keinen Irrtum handelte.
Heinze trat näher, um auch einen Blick auf die von Ornamenten umrankten Zeilen werfen zu können. »Du bist mal wieder ein verflucht glücklicher Hund«, meinte er grinsend. »Ich würde meine eigene Großmutter für so eine Ehre erschießen.«
* * *
Es waren nicht viele Aktendeckel, und keiner von ihnen war mit mehr als einigen Dutzend Blättern gefüllt. Healey hatte die gesamten Geschäftsunterlagen der Richmond-Handelsgesellschaft in drei sehr übersichtlichen Stapeln vor sich auf dem Tisch aufgeschichtet und machte sich mit den Aktivitäten der Firma vertraut. Diese Arbeit war weder besonders anstrengend noch zeitraubend, denn wie Healey bereits vermutet hatte, hielten sich die Transaktionen in Grenzen. Einige Ballen Tabak, etwas Hanf. Das war alles, was in den vergangenen Monaten ein wenig europäisches Geld in die notorisch leere Staatskasse der Konföderation gebracht hatte. Bis zum Frühjahr hatte auch noch Zucker, der als unregelmäßiges Rinnsal über das dürftige Eisenbahnnetz des Südens von Louisiana nach Karolina gelangt war, gelegentlich das Warenangebot der Handelsgesellschaft bereichert. Doch seitdem die Unionstruppen im April New Orleans und das Mississippidelta mit allen Zuckerplantagen unter ihre Kontrolle gebracht hatten, war das einzige halbwegs einträgliche Erzeugnis aus dem Sortiment verschwunden.
Bestürzt las Healey die letzte Monatsbilanz, die Miller aufgestellt hatte.
Nur ein knappes Dutzend Ballen Tabak hatte europäische Abnehmer gefunden. Und das auch nur zum Preis von acht Yankee-Dollar pro Ballen von einhundert Pfund, kaum mehr, als man für zweitklassigen Connecticut-Tabak zahlte. Der in der benachbarten Spalte zusätzlich aufgeführte Erlös von 9 Thalern, 24 Groschen und 8 Pfennigen nahm sich auch nicht erfreulicher aus, war dafür aber erheblich irritierender. Healey ahnte, dass es ihn noch einige Mühe kosten würde, das preußische Währungssystem zu verstehen, in dem ein Thaler in dreißig Silbergroschen unterteilt war, die ihrerseits jeweils den Gegenwert von 12 Pfennigen repräsentierten.
Als Nächstes fiel ihm eine Rechnung in die Hände, die Miller nicht mehr hatte abschicken können. Wie es schien, schuldete ein gewisser Nathaniel P. Weaver der Richmond-Handelsgesellschaft den Betrag von einem Thaler, elf Groschen und fünf Pfennigen für die Nutzung des firmeneigenen Lagerhauses am Alten Hafen. Healey versuchte, die Summe im Kopf in Yankee-Dollar umzurechnen. Aber obwohl er wusste, dass ein preußischer Thaler 69 Cents entsprach, strauchelte er schon beim ersten Versuch, den Wert der Groschen zu ermitteln. Da er merkte, dass ihm seine bescheidenen Kopfrechenfähigkeiten hier nicht weiterhelfen würden, begann er die Schubladen des Schreibtisches nach Papier und Stiften zu durchsuchen. Das Erste, was er entdeckte, war jedoch ein gefaltetes Pappkärtchen.
Healey klappte es auf und stellte fest, dass es sich um ein Abonnement des Karolinischen Opernhauses handelte. Offenbar war Miller ein so großer Freund der Künste gewesen, dass er sich einen fest reservierten Platz gegönnt hatte. Für Healey hingegen war dieser Fund völlig wertlos, da er mit Opern überhaupt nichts anzufangen wusste.
Er legte die Karte beiseite und machte sich wieder an seine Suche nach Schreibmaterial, als die Tür geöffnet wurde und ein blau uniformierter Amtsdiener eintrat. Es war
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