Die Fastnachtsnarren. Humoresken
allerdings Niemand beantworten konnte, und so kehrte sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. Es schlug Dreiviertel. Die Erwartung wurde immer gespannter, und es war fast, als ob der Proceß nicht bloß für Werner, sondern für jeden Einzelnen der Anwesenden auf dem Spiele stehe.
Da schlug es Elf. Noch eine kurze Zeit verging, und es kam Einer langsam die Straße herauf, dessen Gesicht von Freude und Genugthuung erglänzte. Und zu gleicher Zeit kam ein anderer die Gasse herab, aber nicht langsam, sondern erhitzt und eiligen Laufes, in dessen Mienen sich Angst und Aerger zugleich aussprachen. Ohne nur einen einzigen Blick auf die Fenster der »Drei Schwanen« zu werfen, rannte er an dem Gasthofe und seinem Besitzer vorüber. Er kam zu spät; wer den Schwanenwirth ansah, der konnte gar nicht daran zweifeln.
Die Spannung, in welcher sich die Gäste befunden hatten, war jetzt gewichen. Sie befanden sich bei dem Gegner ihres Mitbürgers und hielten also ihre Gefühle mehr zurück, als es an einem andern Orte geschehen wäre. Die Fenster hatten das ihnen vorhin gewidmete Interesse verloren, denn Werner kam jedenfalls vor einer geraumen Weile nicht wieder zurück, und so wurde den drei Männern, welche jetzt draußen zu sehen waren, keine Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich sie dieselbe wohl verdient hätten.
Zuerst kam einer, welcher allerlei Packete trug; es war der Theaterdiener und Zettelträger, und wenige Augenblicke, nachdem er unter dem Eingange zum Gasthofe verschwunden war, bogen zwei andere um die Straßenecke, ein wohlbeleibter Mann mit einem vollen, gutmüthigen Gesichte und an seiner Seite eine lange, hagere Person, der man es schon am Habite anmerkte, daß des Lebens Glück nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen sei. Es war der Herr Director Uhlewald mit seinem Souffleur. Sie kamen gemüthlich selbander dahergeschlendert, hielten vor dem Hause ein kleines Ständchen und traten dann in die Gaststube.
»Guten Morgen!«
Niemand antwortete, auch schien kein Platz mehr für sie übrig zu sein, aber der Dicke schob sich ohne Umstände zwischen zwei Ebersbachern auf die Bank hin und sorgte mit Hilfe der Ellbogen dafür, daß der Dünne neben ihm es sich auch einigermaßen bequem machen konnte.
»Wer sind denn diese Beiden? Die thun ja, als ob sie hier zu Hause seien!«
»Kenne sie nicht, habe sie auch niemals gesehen; es müssen vollständig Fremde sein!«
Franke hatte sich bis jetzt nicht wieder sehen lassen. Er saß droben in seiner Stube, die er verschlossen hatte, um die Freude über den gewonnenen Proceß zunächst vollständig ungestört und ungetrübt zu genießen. Ungetrübt? Es war doch, als käme zuweilen ein Gedanke geschlichen, welcher nicht recht zur gegenwärtigen Stimmung zu passen schien. War eine solche Freude streng genommen, nicht vielleicht Schadenfreude zu nennen? Auf welcher Seite hat eigentlich das meiste Recht gelegen? Und welchem Umstande war der Triumph über den Gegner zu verdanken?
Uhlewald hatte vollständig richtig geurtheilt, als er den Schwanenwirth eine »alte, gute Haut« genannt hatte und der Letztere gehörte zu jenen Naturen, welche das Glück milder macht selbst gegen einen erklärten Feind. Er dachte an die leichte Art und Weise, wie er in den Besitz des Gasthofes gekommen war, an die Sorgen der letzten zwei Jahre, an den einzigen Sohn, über den er nie eine begründete Klage auszusprechen gehabt hatte, an die Tochter Werners und an diesen selbst, welcher in diesem Augenblicke sicher wie niedergeschmettert vor dem Actuar stand und – –
Er dachte nicht weiter, sondern er erhob sich vom Stuhle und ging, mit einem Entschlusse ringend, im Zimmer auf und ab. Da klopfte es an die Thür.
»Franke, Schwanenwirth, macht doch einmal auf!«
Er öffnete. Es war der Director, welcher eintrat.
»So so! hm hm! Da hat man sich geplagt, damit der Mann da den Proceß gewinnen soll, und nun es gelungen ist, versteckt er sich und schließt sich gar noch ein, um weder ›guten Morgen‹ noch ›hab Dank‹ sagen zu müssen. Was ist mir denn das für ein Brauch!«
»Hören Sie, Herr Director, Sie beurtheilen mich wieder einmal falsch; das ist factisch! Der ›gute Morgen‹ kann Ihnen nicht viel nützen, und was den Dank betrifft, so passen Sie einmal auf!«
Er trat zum Secretär und nahm aus einem Kästchen die Papiere, welche er gestern präsentirt hatte. Sodann setzte er ein Streichholz in Brand, hielt die Rechnungen über die Flamme und schob sie in den
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