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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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ihrem Rücken.
     April drehte sich um und sah, dass ihr Großvater auf dem Weg zu den beiden Fahrbahnen des Highways war.
    Sie schoss aus dem Diner. Der Parkplatz war unbefestigt, und der Wind blies ihr feinen weißen Staub ins Gesicht. Sie musste
     stehenbleiben und sich die Augen reiben. Ihr Großvater kam dem Highway immer näher. Gerade noch bekam sie ihn am Arm zu fassen,
     da donnerte auch schon ein Sattelschlepper vorbei. Ihr Großvater sah zu ihr herab. Seine Augen blickten wirr. Sein Mund mahlte,
     so als versuche er, Worte zu artikulieren.
    »Ich dachte … ich wollte versuchen …«, begann er. Dann wurden seine Augen plötzlich wieder klar. »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«,
     fragte er.
    »Ich habe im Diner gewartet. Wir wollten doch zu Mittag essen. Erinnerst du dich nicht mehr?«
    »Natürlich erinnere ich mich. Ständig fragst du mich, ob ich mich erinnere. Ich erinnere mich an alles, mach dir da mal keine
     Sorgen.«
    »Aber wo wolltest du denn hin, Grandpa?«
    »Spielt doch keine Rolle. Jetzt bin ich ja da, oder?«
    April sah ihren Großvater an. »Das ergibt echt keinen Sinn«, sagte sie.
    »Vielleicht nicht für dich. Was kann ich denn für deine bescheidene Schulbildung?«
    April versuchte, ihn zurück zum Diner zu führen, aber sobald sie seinen Ellbogen nehmen wollte, schüttelte er ihre Hand ab.Als sie ins Restaurant kamen, gafften die Kellnerin und der fette Cowboy sie an. April starrte trotzig zurück, bis sie sich
     wieder um ihren eigenen Kram kümmerten. Ihr Großvater erklärte, er habe keinen Hunger.
    »Aber es ist Mittagszeit, Grandpa. Eben hast du noch gesagt, du
hättest
Hunger. Und ich habe auf jeden Fall welchen.«
    »Ich dachte, du kannst es gar nicht abwarten, nach Seattle zu kommen«, knurrte er.
    »San Francisco.«
    »Ist doch
schnurz
, wie du immer sagst. Also, was wollen wir dann noch hier? Auf geht’s.«
    Ihr Großvater marschierte aus dem Diner. April bezahlte den unberührten Kaffee und ihre Cola. Die Kellnerin schob ihr einen
     Haferkeks mit Rosinen zu. April fing beinahe an zu weinen.
    »Erzähl mir eine Geschichte von Grandma Clare«, verlangte sie ein paar Minuten später. Sie waren zurück auf dem Highway, und
     April wollte, dass ihr Großvater wieder klar im Kopf wurde. Und am besten war er immer drauf, wenn er seine Anekdoten erzählte.
    »Ich habe dir schon alle erzählt.«
    »Nicht über Grandma Clare«, widersprach sie. »Was hat dir am besten an ihr gefallen?«
    Bill schielte sie von der Seite an. »Was ist das denn für eine Frage? Mir hat alles an ihr gefallen.«
    »Na gut, was hat dir denn nicht so an ihr gefallen?«
    Bill schielte wieder herüber. »Also,
die
Frage ist ja um Klassen besser«, sagte er. Er sah aus dem Fenster. »Aber die beantworte ich dir nicht.«
    Dann beantwortete er sie doch – und zwar praktisch ohne Unterbrechung quer durch Wyoming. Aber keine seiner Erinnerungen war
     negativ, allen Versprechungen zum Trotz. Das waretwas, was ihr schon vorher bei Grandma Clare aufgefallen war. Wenn man danach ging, was ihr Großvater und ihre Mutter über
     sie erzählten, dann war Grandma Clare mindestens auf einer Stufe mit der Heiligen Jungfrau Maria, wenn nicht sogar eine Stufe
     höher. April hatte den Eindruck, dass das offenbar einer der Vorteile am Sterben war: Es löste so eine Art Amnesie aus. Die
     Leute vergaßen deine Fehler oder redeten wenigstens nicht mehr darüber – außer man war in der Schule Amok gelaufen oder ein
     Pädophiler oder so was wie Hitler. Würde ihre Mutter ihren Großvater irgendwann auch so in Erinnerung behalten? Würde sie
     dann nicht mehr Alter oder Billy Boy zu ihm sagen, sondern anfangen, ihn »mein Vater« oder »mein alter Herr« oder sogar »Papa«
     zu nennen? April dachte an ihren eigenen Vater. Würde ihre Mutter auch aufhören, über den üble Sachen zu erzählen, wenn er
     erst tot war?
    Sie schüttelte den Kopf und versuchte, das schlechte Karma abzuwehren, das man ja unweigerlich auf sich zog, wenn man an den
     Tod dachte, besonders an den Tod von Menschen, die man kannte. Aber das war kein schlechtes Thema für einen Song. Während
     ihr Großvater weiterplapperte, spielte sie in Gedanken ein paar Zeilen durch.
    Did you die to escape your lies?
    Now that you’re dad, it’s an empty bed.
    When you could breathe, you cheated with ease.
    But now that you’re gone, it’s your touch that I … long?
    Da musste sie später noch mal ran. Jetzt war sie zu abgelenkt durch ihren Großvater, der an

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