Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
verschlüsselten Brief, der im Futter seiner Reisetruhe gefunden wurde. Dieser Brief, und dass wisst Ihr, Eccellenza, wurde vor vielen Jahren mit Eisengallustinte auf venezianischem Papier geschrieben und zwar von einer kundigen Hand in einer polyalphabetischen Chiffre.«
»Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt.« Der Prokurator wirkte bemüht ärgerlich.
»Filippo Tomei ist kein Chiffreur und kann den Inhalt des Briefes nicht lesen. Wahrscheinlich sollte er ihn nach Florenz an den Hof von Francesco de’ Medici bringen, der ausgezeichnete Kryptographen hat. Tomei ist also nur ein einfacher Bote, der für Francesco arbeitet, und da er ihn so großzügig bezahlt hat, weiß Francesco offenbar um die Bedeutung dieser Botschaft. Doch wenn dieses Dokument, sagen wir, vor dreißig Jahren geschrieben wurde, welche Verbindung kann es dann zur derzeitigen Waffentechnik des Arsenale haben? Nein, diese verschlüsselte Botschaft spricht von etwas anderem.«
»Und wovon, Eurer Meinung nach?«
Das war die Frage, die der Mönch erwartet hatte und die er selbst sich stellte, seit er die Unstimmigkeiten und Widersprüche in dieser Geschichte entdeckt hatte. Es war nämlich seltsam, dass der Erzbischof von Florenz, Antonio Altoviti, ausgerechnet ihn, Angelo Riccio, damit beauftragt hatte, herauszufinden, warum Francesco de’ Medici jemanden wie Filippo Tomei nach Venedig geschickt hatte. Und denselben Auftrag hatte er einen Monat später vom Rat der Zehn bekommen, durch seinen intrigantesten Sekretär, Zuàne Formento. So hatte Angelo sich in den Dienst zweier Herren begeben und riskierte doppelt so viel, wurde aber auch doppelt bezahlt. Es hatte ihn keine große Mühe gekostet, zum Schatten von Tomei zu werden. Mit Tomei war er in der Celestia angekommen und hatte sich binnen kurzer Zeit in einem Spinnennetz wiedergefunden. Durch die Explosion des Arsenale war die Geschichte zu einem Drama geworden.
»Nun redet schon, Ihr werdet Euch doch ein paar Gedanken darüber gemacht haben«, drängte Mocenigo.
Angelo Riccio lächelte. »Ich sage Euch: Francesco de’ Medici ist nie ein Feldherr und ebenso wenig ein Politiker gewesen wie Cosimo, sein Vater. Das war ihm nicht in die Wiege gelegt, auch fehlt ihm die Leidenschaft. Ohnehin bleiben die Pflanzen, die im Schatten eines großen Baumes aufwachsen, immer schwach und verkümmert …«
»Lasst das Philosophieren und kommt zu den Fakten!«
Riccio zog den Kopf ein, neigte ihn zur Seite und schloss halb die Augen. »Drei teure Leidenschaften hat Francesco immerhin von seinem Vater geerbt: die Liebe zum schönen Geschlecht, die Liebe zur Kunst und die zur Alchemie. Was die Kunst betrifft, so sehe ich kaum Verbindungen zur Celestia und zur Welt der Chiffren. Doch eine Beziehung zu Frauen und zur Alchemie könnte es geben.« Mocenigos Gesichtsausdruck wurde aufmerksam. »Nun, Eccellenza«, fuhr Riccio fort, und seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, »alle wissen von der ehebrecherischen Beziehung, die der Medici seit vier Jahren zu der schönen Bianca unterhält, der Tochter unseres unglücklichen Bartolomeo Cappello, die mit diesem Unhold Bonaventuri verheiratet wurde, nachdem er sie geraubt und getäuscht hatte. Doch nicht alle wissen, dass das Mädchen nicht nur eine Schönheit, sondern auch Expertin für Alchemie und die Verwandlung von Metallen ist, und ich habe aus sicherer Quelle erfahren, dass sie schon als kleines Mädchen mit den Geistern der Verstorbenen und wer weiß welchen anderen Gestalten aus der Unterwelt sprach. Wusstet Ihr das?«
Die Frage schien Alvise Mocenigo aufzuwecken. »Einiges ist mir zu Ohren gekommen«, sagte er widerstrebend.
»Und wusstet Ihr, dass Lucia Vivarini, die bei dem Einsturz des Klosters verstorbene Äbtissin, in enger Verbindung zu Bianca stand?«
Die Augen des Prokurators wurden zu schmalen Schlitzen. »Die Cappello hat Venedig vor fünf Jahren verlassen und ist nie mehr zurückgekehrt.«
»Ich spreche von einer brieflichen Beziehung«, erklärte der Frate sofort. Dann zog er ein mehrmals gefaltetes Blatt aus dem Ärmel seiner Kutte und entfaltete es unter Mocenigos Blick. »Dies wurde Ende August am Raticosa-Pass in der Tasche eines Boten von Bianca gefunden, der bei einem Hinterhalt von Briganten zu Tode kam. Seht her.«
Der Prokurator nahm das Blatt aus Pergament, und Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Das Schreiben trug das rote Siegel in Form eines Hutes mit zwei Schleifen, das Wappen von Bianca Cappello.
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