Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
davor gesagt? Wer war am Ruder?«
Der Kaufmann zögerte und verzog fast ängstlich das Gesicht.
»Der junge, es war der junge Türke, der ruderte«, wiederholte er mit hauchdünner Stimme, während Mocenigo und da Ponte sich erneut ansahen.
»Er wird für die Regatta beim Marienfest geübt haben«, kommentierte da Ponte mit deutlich ironischem Unterton. Mocenigo schloss die Augen, wie um seine Gedanken zu verbergen, und nickte nur.
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Während er hinter seinem Vater herging, erkannte Andrea, wie sehr dieser plötzlich gealtert war. Seine Schritte waren klein geworden, die Sohlen der Stiefelchen schlurften über den Marmorterrazzo, als trüge er Pantoffeln. Es schien, als hätte das Gewicht des Corno Ducale die Oberhand über die Statik seines Körpers gewonnen und böge ihn nach vorn, so dass der Doge gezwungen war, fortwährend voranzueilen, um seine Kopfbedeckung im Gleichgewicht zu halten und zu verhindern, dass sie herunterfiel. Die Arme hingegen baumelten träge wie Ärmel eines aufgehängten Kleides, die vom Wind bewegt werden.
Andrea empfand großes Mitleid mit ihm und sehnte sich danach, ihn einzuholen und unterzuhaken, ihn anzulächeln und mit ihm zu sprechen, und er hätte es sicherlich getan, wenn Tonietto, der Diener, der nun seit vierzig Jahren für ihn sorgte, nicht an seiner Seite gewesen wäre und ein lebhaftes, von vertraulichen Gesten begleitetes Gespräch mit ihm führte.
Also wandte sich Andrea zu Sofia, die neben ihm ging. Er folgte dem zarten Profil ihrer Stirn, der leichten Biegung der Nase, den schön geschwungenen Lippen und der klaren Linie des Kinns. Während sie den Westflügel der Dogengemächer durchquerten, begann die Marangona des Campanile von San Marco den Mittag einzuläuten. In den schweren, fast anmaßenden Klang dieser alles übertönenden Glocke fielen kurz darauf mit ihren unzähligen verschiedenen Stimmen die Glocken der anderen Kirchen ein. Sofia bekreuzigte sich mit raschen, gewohnheitsmäßigen Bewegungen. Auch Tonietto schlug ein Kreuzzeichen, während er dem Dogen vorauseilte und die beiden Türflügel öffnete, die das Vorzimmer vom Audienzsaal der Sala dello Scudo trennten.
Der Saal nahm die ganze Breite dieses Flügels ein, von der östlichen bis zur westlichen Wand, und in beiden hatte er große Fensterfronten. Seinen Namen hatte der »Saal des Schildes« nach dem Wappen des amtierenden Dogen, das in der Mitte der Längswand hing. Andrea nannte ihn den Saal der Landkarten, denn vor dreißig Jahren hatte Giovan Battista Ramusio, ein guter Literat und hervorragender Geograph, den Raum mit großen Karten der am besten bekannten Weltteile ausgemalt.
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch zu helfen.« Die Worte des Dogen erklangen zwischen den letzten Glockenschlägen.
»Danke, Vostra Serenità, danke. Möge die Heilige Jungfrau Euch belohnen für Eure guten Taten«, sagte Sofia mit brechender Stimme und verneigte sich in einem tiefen Knicks. In einer feinfühligen Geste strich Pietro Loredan ihr über die Haare. Unwillkürlich versuchte Andrea sich an die letzte Liebkosung zu erinnern, die er von seinem Vater empfangen hatte. Der Gedanke verlor sich im Nichts.
Sofia erhob sich, jetzt war Andrea an der Reihe. Mit schwerem Herzen ging er auf den Vater zu. Während Sofia dem Dogen ihre tragische Geschichte erzählt hatte, hatte dieser unablässig in Andreas Gesicht geforscht, und seine Augen hatten geglüht vor Verlangen, alles von ihm zu erfahren. Doch nun, als sein Vater ihn ansprach, schlug Andrea seine ganze Verbitterung entgegen: »Bedurfte es dieses unglücklichen Anlasses, damit du zurückkommst?«
»Es tut mir leid, Vater. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich Euch nicht gestört.« Sofort bereute er, dass er sich zu diesen unbedachten Worten hatte hinreißen lassen.
Er wollte sich schon entschuldigen, doch während er noch zögerte, fuhr sein Vater fort: »Andrea Dolfin ist zu mir gekommen. Er hat mir von Taddea berichtet. Er war sehr verärgert.«
Diese Einmischung in die Geschichte, die Andrea schon lange bedrückte, traf ins Schwarze und löschte augenblicklich alle Reue aus. »Wenn Dolfin etwas zu sagen hat, soll er zu mir kommen«, bemerkte er nur, ohne eine weitere Erklärung.
»Du hast dich diesem Mädchen versprochen.« Der Ton des Dogen war um eine Oktave gestiegen.
»Ich weiß nicht, was er Euch gesagt hat, aber Taddea und ich haben uns einvernehmlich getrennt.«
»Das sehen die Dolfin anders.«
»Sie
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