Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
interessieren mich nicht. Sie müssen ja nicht heiraten!«, entgegnete Andrea, der dem zurückgehaltenen Ärger nun freien Lauf ließ.
Der Doge runzelte die Stirn, seine Augenbrauen hoben sich, während er die Lippen zusammenkniff in dem unmöglichen Versuch, eine Erwiderung zurückzuhalten. »Es schmerzt mich, mein Sohn, dich so verwirrt zu sehen, ohne dass ich etwas für dich tun kann.« Der Doge lauschte einen Augenblick lang dem Echo seiner Worte, dann drehte er seinem Sohn den Rücken zu und entfernte sich durch den Flur der Philosophen.
Andrea folgte ihm nur mit Blicken, und ihm schien, als wären die Schritte seines Vaters noch kürzer geworden und der Körper würde sich noch mehr nach vorn beugen. Tonietto eilte an Andrea vorbei zu seinem Herrn, dabei warf er ihm einen missbilligenden Blick zu. Mit schwerem Herzen drehte Andrea sich um und bemühte sich, Sofia zu ignorieren, während er an ihr vorbeiging. Er durchquerte die Sala degli Scarlatti und gelangte durch den Flur auf die Scala d’Oro.
Nach ein paar eilig genommenen Stufen erreichte ihn Sofias Stimme: »Wartet!«
Widerwillig blieb er stehen und drehte sich um. Sofia stand reglos auf dem Treppenabsatz.
»Was wollt Ihr noch?«
Sofia legte die Hand auf das Geländer aus brüniertem Eisen und kam die Treppe herunter. Drei Stufen vor Andrea blieb sie stehen. »Seid mir nicht böse«, bat sie mit hauchdünner Stimme.
»Ihr wollt immer alles auf Eure Weise machen«, erwiderte Andrea verdrossen. »Für Euch mag das richtig sein, aber kommt nicht mehr zu mir und fragt mich um Rat. Ich grüße Euch, Signora Ruis.« Nach diesen Worten ging er weiter.
»Ich habe nur um Hilfe gebeten!« Sofia nahm die zehn Stufen, die sie von Andrea trennten, im Flug. »Und der durchlauchtigste Doge hat mir versprochen, dass er mir hilft!«, rief sie erregt, gerade in dem Moment, in dem zwei ältere Edelmänner die Treppe heraufkamen. Andrea neigte leicht den Kopf, die beiden Patrizier erwiderten den Gruß mit einem Nicken und streiften Sofia mit neugierigen Blicken, während sie die Treppe weiter hinaufstiegen. Andrea wartete, bis sie den Treppenabsatz erreicht hatten.
»Ihr wisst nichts von der Rechtsprechung und ihrer Verwaltung. Es gibt Regeln, Regeln und Rituale, die eingehalten werden müssen«, sagte er flüsternd. Sofia blickte ihn mit gerunzelten Brauen an. »Soldaten wissen genau«, fuhr Andrea fort, »dass man sich nicht beim General beschwert, wenn das Essen schlecht ist. Man geht zu seinem Hauptmann!«
»Was habe ich Falsches gesagt?«
»Mein Vater wird jetzt zum Oberhaupt der Zehn gehen und Rechenschaft über das Verfahren gegen Euren Sohn fordern. Er wird die sofortige Einberufung des Rates verlangen, und erwird sich einmischen. Das steht in seiner Macht, denn der Doge hat die Pflicht, die ordnungsgemäße Anwendung der Gesetze zu überwachen.«
»Genau das will ich auch!«, erklärte Sofia eifrig.
»So versucht doch zu verstehen! Mein Vater wird Gabrieles Minderjährigkeit ins Feld führen, und der Avogador di Comun wird das bestätigen, worauf der Rat Eurem Sohn mildere Haftbedingungen gewähren und Avvocato Zon eine Abmahnung erteilen wird.«
»Das wolle Gott!« Sofias Miene hellte sich auf.
»Nein!«, nahm Andrea ihr die Hoffnung sogleich. »Avvocato Zon ist rachsüchtig und hat großen Einfluss auf die Gefängniswächter: Gabriele wird jeden noch so kleinen Fehler teuer bezahlen müssen. Sie werden die Vorschriften strengstens und ohne Ausnahmen befolgen und ihm das Leben zur Hölle machen.« Je länger Andrea sprach, desto bestürzter wurde Sofias Miene. »Zudem wird diese von oben erfolgte Intervention Gabriele auch bei den Häuptern der Zehn in ein sehr schlechtes Licht rücken. Sie werden Euch jedes Gespräch verweigern.« Jetzt erwiderte die Frau nichts mehr, sondern blickte Andrea nur verstört an, der etwas aus dem Ärmel seines Kittels zog. Es war ein sorgfältig zusammengefaltetes Blatt Papier. »Ich hatte schon den Antrag an Avvocato Zon verfasst, mir die Verteidigung von Gabriele zu übertragen …« Andrea zerknüllte das Papier. »Alles umsonst. Möge Gott Euch helfen, Euch und Eurem Sohn«, schloss er bitter, wandte Signora Ruis den Rücken zu und stieg die Treppe hinunter, während sie wie erstarrt stehen blieb, an den Handlauf geklammert, um nicht in die Tiefe zu stürzen.
45
Um in die Pozzi hinabzusteigen, hatte Andrea sich die schwarze Toga mit weiten Ärmeln übergezogen, damit seine ungewöhnliche Initiative einen
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