Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
hereingebrochen. Vor allem fragte er sich, warum der Türke ausgerechnet ihn für diese Aufgabe ausgewählt hatte. Nach allem, was geschehen war, genügte der Zufall nicht mehr als Erklärung, ebenso wenig wie die Ehrlichkeit, die Mehmet in seinen Augen entdeckt haben wollte. Je länger er darüber nachdachte, desto tiefer fühlte Andrea sich in eine gegen ihn gesponnene Verschwörung hineingezogen, bei der er durch ein Spiel des Schicksals sowohl Akteur als auch Zuschauer war. Eine Art unbewusstes Gravitationszentrum. Während er so dem Fluss seiner Gedanken nachging, wurde seine Beunruhigung zur Bestürzung.
    Das Santi Pietro e Paolo war eines der ältesten Krankenhäuser von Venedig. Manche sagten, es habe schon um das Jahr tausend als Unterkunft und Verpflegungsstelle für die Pilger ins Heilige Land existiert. Andere behaupteten, es sei zwei Jahrhunderte später entstanden, um den Kreuzrittern, die zum Vierten Kreuzzug aufbrachen, als Zuflucht zu dienen, wo sie versorgt wurden und ausruhen konnten. Auf jeden Fall brachte die Stelle, an der es erbaut wurde, an der Calle San Gioacchino hinter dem Arsenale, das Krankenhaus in eine strategisch günstige und geschützte Position für all diejenigen, die sich täglich dem Meer aussetzen mussten. 1368 hatte der Doge Andrea Contarini, soeben gewählt, das Krankenhaus unter seinen Schutz gestellt. Im selben Jahr gestattete ein Gesetzeserlass der Republik, der Venedig die Exkommunikation durch den Papst und den Zorn des Patriarchen eingetragen hatte, dem Kollegium der Chirurgen, an diesem Ort die Sektion menschlicher Körper durchzuführen. So wurde eines der drei Häuser, vom Volk sofort »Schlachthaus der Unglückstoten« getauft, zu einer Art anatomischem Lehrsaal, wo die Leichen derjenigen untersucht wurden, die durch eigene oder fremde Gewalttat aus dem Leben geschieden waren.
    Andrea hasste es, das »Schlachthaus« zu betreten, und hätte sein Beruf ihn nicht von Zeit zu Zeit dazu gezwungen, hätte er stetseinen großen Bogen um das Gebäude gemacht. Luca Foscari dagegen schien dort zu leben wie in seinem eigenen Haus. Nachdem er sich in Anatomie spezialisiert hatte, war er innerhalb weniger Jahre zum gefragtesten Anatomen Venedigs und der Terraferma geworden.
    Prompt wurde Andrea auch jetzt, als er über die Schwelle des Krankenhauses trat, von Angst gepackt. Der Pförtner, ein Zwerg mit einem Riesenkopf und dem Körper eines Kindes, erkannte ihn und kam ihm breit lächelnd entgegen.
    »Avvocato serenissimo, wie schön, Euch wiederzusehen!«, sagte er freundlich. »Welcher Tote führt Euch hierher?« Er lachte über die abgeschmackte, an diesem Ort gebräuchliche Bemerkung.
    »Einen guten Tag wünsche ich Euch, Taso«, antwortete Andrea. »Ist Dottor Foscari noch im Krankenhaus?«
    »Er müsste in der Laterne bei einer Leichenöffnung sein.« Da er Andreas Abneigung gegen das Ausnehmen der Leichen kannte, blitzten seine Augen bei diesen Worten erwartungsvoll auf. Er streckte eine Hand zu dem Tischchen aus, das ihm bis zu den Augen reichte, und schlug ein Register auf. »Ja, er ist heute Morgen sehr früh hereingekommen. Eure hochgeschätzte Unterschrift bitte, Ser Loredan«, und er reichte Andrea das Buch. Dieser kannte das Procedere, darum hatte er die Feder schon in das Tintenfass getaucht. Derweil spießte der Zwerg mit Hilfe eines Rohrs, wie man es zum Anzünden der höchsten Kerzen auf dem Altar benutzt, ein schwarzes Hemd, das in einem Schrank hing, am Kragen auf und reichte es Andrea.
    »Bitte sehr, Avvocato.«
    »Ich danke Euch«, antwortete Andrea, und während er sich das Hemd überzog, verließ er den hellen, sonnenbeschienenen Eingang, um in einen dunklen, niedrigen Korridor aus roten Ziegelsteinen zu treten, in dem einige Leuchten auf halber Höhe der Wände Licht spendeten. Dieser Korridor trennte den Teil des Krankenhauses, der den Lebenden vorbehalten war, von dem, der die Toten beherbergte. Andrea nahm ihren Geruchwahr, als er im ersten Pavillon ankam. Hier wurden die Wände kalkweiß, und die Temperatur sank erheblich. Zur Rechten wie zur Linken lagen die verschlossenen Türen der Kühlräume zur Aufbewahrung der Leichen. Die »Laterne« war ein großer Raum, der sich an die tragende Wand des Krankenhauses stützte und einen Teil des Gartens im Innenhof einnahm. Ein Merkmal, das sofort ins Auge sprang, war die Helligkeit der drei übrigen Wände, deren untere Hälfte aus weißem istrischen Kalkstein bestand, an den sich bis hinauf ans Dach

Weitere Kostenlose Bücher