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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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reichende Fensterflächen aus Cristalìn anschlossen. Man fühlte sich tatsächlich wie im Inneren einer riesigen Laterne aus facettiertem Glas, wie sie in den Vorhallen der Adelspaläste hingen. In der Mitte dieses Raums stand ein großer Tisch mit einer Fläche aus poliertem Marmor, und darauf lag ein geöffneter Leichnam.
    Über diesen Körper beugte sich Luca, in die schwarze Toga der Ärzte gehüllt, mit einer Kappe aus schwarzem Tuch auf dem Kopf. Er sah aus wie ein Geier, der sich am Aas gütlich tut. Mit lauter Stimme kommentierte er seine Arbeit, wie es bei den Vorlesungen an der Universität üblich war.
    »Auf die Kehle wurde ganz offensichtlich Druck ausgeübt, der den Kehlkopf nach oben verschoben hat, wodurch die Zunge gegen die Kehle gedrückt wurde   …« Er brach ab und hob den Kopf, um Andrea anzuschauen, als hätte er Mühe, ihn wiederzuerkennen. Noch seltsamer war sein Gruß: »Avvocato Loredan«, sagte er distanziert, als grüßte er eine bekannte Person, keinen Freund.
    »Avvocato!«
    Eine zweite Stimme erklang hinter Andrea und zwang ihn, sich umzudrehen. Der Sekretär der Zehn, Zuàne Formento, saß in dem hölzernen Gestühl, das die gesamte Rückwand des Saals einnahm. Mit seiner schwarzen Kleidung hob er sich kaum von dem dunklen Holz um ihn herum ab.
    »Segretario«, erwiderte Andrea nur knapp, leicht den Kopf neigend. Formentos Miene war angespannt. Er stand auf undkam, begleitet vom Knarren der zwei Stufen des Gestühls, auf ihn zu.
    »Willkommen, Avvocato. Wenn Ihr wüsstet, wie recht Ihr hattet.« Die Worte des Sekretärs schwebten in der mit Duftessenzen geschwängerten Luft, die den Leichengestank kaum zu mildern vermochten.
    Andrea begriff ihren Sinn nicht sofort, doch als er ihn ahnte, ging sein Blick von Formento wieder zu Luca und weiter zu dem Körper, den der Arzt untersuchte. Es war eine Frau. Die weiße Haut mit dem grünlichen Schimmer des Zersetzungsprozesses war glatt, samtig, jung. Auch die Proportionen des Körpers deuteten auf eine junge Frau hin.
    »Arme Tochter, sie musste sogar die Schmach erleiden, nicht in der Kirche geehrt zu werden.« Formento ging an Andrea vorbei und stellte sich neben Luca an den Rand des Seziertisches. Sein Blick auf den Leichnam war von tiefem, ehrlichem Mitleid erfüllt. »Aber das werden wir wiedergutmachen, sie bekommt ein würdiges Begräbnis.«
    Andrea trat einen Schritt vor und erkannte Anna Tagliapietra, vor allem an den jetzt weit aufgerissenen, starren Augen, die ein wenig zur Seite gedreht waren.
    »Bitte fahrt fort, Dottor Foscari«, sagte Formento, »denn vor dem Avvocato Loredan haben wir keine Geheimnisse, ja, ich hätte ihn sogar rufen lassen, wenn er mir nicht zuvorgekommen wäre.« Während er das sagte, hob er die Augen zu Andrea, und in seinem Blick lag eine Spur Hohn.
    »Wie ich schon sagte, ist die Ärmste erdrosselt worden.« Luca beugte sich wieder über den Körper der Novizin und zeigte auf den Hals. »Diese Abschürfungen wurden von den Fingernägeln des Angreifers verursacht. Und diese blutunterlaufenen Flecken vom Druck seiner Hände.« Luca trat einen Schritt zurück, gefolgt von Formento, und zeigte auf den Oberkörper der jungen Frau, der vom Darm bis zum Halsansatz, etwas oberhalb des Brustbeins, aufgeschnitten war und von zwei Trennbögen offengehalten wurde. »Der endgültige Beweis, dass die Frau erwürgt und erst dann ins Wasser geworfen wurde«, erklärte Luca in professoralem, distanziertem Ton, »ist das völlige Fehlen von rosa Schleim in der Kehle und der Luftröhre, außerdem gibt es kein Wasser in den Lungen, natürlich auch nicht im Magen und im Verdauungstrakt.« Auf jedes dieser Organe hatte Luca mit dem Zeigefinger gedeutet, jetzt blickte er seine beiden Zuhörer an. »Der Körper weist keine weiteren Verletzungen oder Spuren von Schlägen auf, was mich zu der Vermutung führt, dass es keinen Kampf mit ihrem Mörder gab.«
    »Er kannte sie«, bemerkte der Sekretär lakonisch.
    »Ich würde sagen, diese Vermutung ist begründet«, bestätigte Luca.
    Es wurde still in der Laterne. Formento blickte Andrea eindringlich an, und einige Sekunden lang fühlte Andrea sich von diesen Augen eingesogen, er konnte sich nicht von ihnen lösen. Das hätte er ohnehin nicht getan, um nicht den Eindruck zu erwecken, dieser Blick bezwinge ihn, als sei er für das Unglück verantwortlich. Da der andere nicht aufgab, griff Andrea zur einzigen Möglichkeit, um zu sich befreien.
    »Wenn Ihr gestattet, Signor

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