Die Feuer von Troia
erhob sich vom Ehrenplatz neben Priamos und kam zu ihr. Er umarmte sie so fest, daß sie zusammenzuckte, und gab ihr einen schmatzenden Kuß.
»Da ist sie ja, mein schönes, liebstes Kind«, sagte er, »was hast du denn während des Kriegs gemacht? Ich habe ein Geschenk für dich: eine Kette aus Bernsteinperlen, die wunderbar zu deinen leuchtenden Augen passen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der Augen wie Bernstein hat, der in der Tiefe einen leichten rötlichen Schimmer hat«, fügte er hinzu, zog die Kette aus seinem Gewand und legte sie ihr um den Hals. Kassandra seufzte, nahm sie ab, hielt sie behutsam in den Händen und betrachtete die glänzenden Perlen beinahe sehnsüchtig.
»Ich danke dir. Sie ist sehr schön, aber man würde mir nicht erlauben, sie zu tragen. Solltest du sie nicht dem Sonnengott zum Geschenk machen?«
Odysseus nahm die Kette widerwillig zurück.
»Sie paßt so gut zu dir. Ich habe mit dem Sonnengott zwar keinen Streit« - er machte eine ehrerbietige Geste -, »aber ER hat keinen Bedarf an Geschenken, die ich machen kann.« Er sah sich um, und sein Blick fiel auf Helena, die bescheiden neben Paris saß.
Helena sagte mit ihrer sanften Stimme: »Odysseus, lieber alter Freund, ich werde die Kette für Kassandra aufbewahren, und sie wird sie zurückbekommen, wann immer sie will.« Ihre Schwangerschaft war inzwischen sichtbar. Aber Kassandra stellte seufzend fest, daß sie das nur noch schöner zu machen schien. Andromache war während ihrer Schwangerschaft stark und gesund gewesen, aber sie hatte blaß und gedunsen ausgesehen, während Kreusa die ganze Zeit krank gewesen war, nichts bei sich behalten konnte und so abmagerte, daß sie wie eine räudige Ratte aussah, die eine gestohlene Melone mit sich herumschleppt. Helena erinnerte sie an eine der geschnitzten schwangeren Göttinnen, die Kassandra in Kolchis gesehen hatte; so konnte sie sich auch Aphrodite vorstellen, wenn die Göttin der Liebe es zugelassen hätte, daß man SIE schwanger sah.
Odysseus reichte ihr die Kette, und Helena sagte sanft, beinahe liebevoll: »Wer weiß, Schwester, vielleicht stehst du nicht immer im Dienst des Sonnengottes. Ich gebe dir mein Wort: Die Kette ist dein, wann immer du sie haben möchtest.«
Gegen ihren Willen wurde Kassandra warm ums Herz. Sie sagte freundlicher als beabsichtigt: »Danke, Schwester.« Helena drückte ihr die Hand und lächelte sie an.
Priamos mischte sich gereizt ein: »Es ist schön und gut, als mein Gast hier zu stehen und den Mädchen Schmuck zu schenken, Odysseus. Aber sag mir: Habe ich dein Schiff nicht unter den Schiffen der Räuber vor den Mauern gesehen? Und warst du nicht bei ihnen? Ich dachte, du hattest mir versprochen, dich von diesen Achaiern nicht in einen Krieg gegen mich hineinziehen zu lassen. «
»Das ist wahr, alter Freund«, antwortete Odysseus, grinste und trank mit einem Zug seinen Becher aus. Polyxena füllte ihn wieder mit Wein. Odysseus sah sie lächelnd - beinahe lüstern - an und tätschelte ihr den runden Hintern. »Wenn ich doch noch unverheiratet wäre, du hübsches Ding. Wenn dein Vater dich mir hätte geben können -, auch wenn ich alt genug bin, um dein Großvater zu sein, und nicht dazu neige, mir eine Braut zu suchen, die noch in der Wiege liegt -, dann hätte Agamemnon mich nicht mit einer List dazu zwingen können, gegen einen alten Freund in den Krieg zu ziehen. «
Priamos sah ihn höflich zweifelnd an. »Ich muß sagen, mein Freund, ich verstehe dich nicht.«
»Nun ja«, erwiderte Odysseus, und Kassandra dachte daran, daß er mit Sicherheit eine gute Geschichte erzählen würde - sei es nun Wahrheit oder Lüge, »du erinnerst dich doch, daß ich bei Helenas Hochzeit mit Menelaos unter den Männern stand, die Helena vergeblich umworben hatten. Ich glaube, Helena hat mir vergeben, daß ich keiner ihrer Bewerber war, denn ich wollte Penelope, die Tochter des Ikarios, heiraten. «
Helena lächelte. »Mögen die Götter der Wahrheit dir ebenso vergeben wie ich, lieber Freund. Ich hatte aber gehofft, vielleicht einen Gemahl zu bekommen, der mir so treu wäre wie du deiner Penelope. «
Odysseus fuhr fort: »Alle Bewerber wollten miteinander kämpfen, und da fand ich die Lösung, die aus der Sackgasse herausführte: Helena sollte selbst entscheiden, und wir alle würden einen Eid schwören, ihren Gemahl gegen jeden zu verteidigen, der sie ihm streitig machen wollte. Und so saß ich in meiner eigenen Falle, als dieser Krieg ausbrach.
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