Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
»Jetzt tut es mir leid, Ren. Ich stand nur schrecklich unter Druck. Ich hatte kein Recht …«
»Doch, das hattest du«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich gab dir einen Grund, um wütend zu werden. Ich trage dir nichts nach. Ich hatte es nötig, dass mir jemand Vernunft beibrachte.«
Arlen kam zu ihr und nahm sie in die Arme. »Du hast für mich genauso viel getan. Mehr als einmal.« Während er sie küsste, ging die Sonne endgültig auf und berührte sie mit ihren sanften Strahlen.
»Kein Versteckspiel mehr, Ren«, sagte Arlen. »Wir sind, wer wir sind, und es kümmert uns nicht, ob die Leute uns akzeptieren oder ablehnen.«
»Ein wahres Wort«, bekräftigte Renna. Sie nahm seinen glattrasierten Kopf in beide Hände und zog ihn zu sich herunter, damit ihre Lippen sich wieder fanden.
Kurze Zeit später brachte Arlen sie in das Tal des Erlösers. Er ging barfuß und führte Schattentänzer am Zügel.
»Die Straßen sind nicht durch Siegel geschützt«, bemerkte Renna.
»Die Straßen selbst sind das Siegel«, erklärte Arlen. »Jedenfalls sind sie Bestandteil eines Symbols. Nachdem die Horclinge große Bereiche der Stadt zerstört hatten, bauten wir eine neue, größere auf. Dabei verfolgten wir einen Plan, der eine Reihe miteinander verbundener Großsiegel vorsieht, ähnlich dem, das die Holzfäller gerade im Norden anlegen. Jeder neue Ring, der angelegt wird, benötigt mehr Zeit bis zu seiner Fertigstellung als der vorherige, aber in zehn Jahren wird es in einem Umkreis von hundert Meilen keinem verfluchten Horcling mehr gelingen, auch nur eine Kralle in das Tal zu setzen.«
»Das ist … unglaublich«, staunte Renna.
»In der Tat«, pflichtete Arlen ihr bei. »Das heißt, sofern wir diese Arbeit fertigstellen können, während der Horc eine ganze Armee ausspuckt, die uns ins Zeitalter der Unwissenheit zurückschicken soll.«
Selbst zu dieser frühen Stunde waren auf den Straßen und Wegen viele Leute unterwegs, die ihren üblichen Beschäftigungen nachgingen. Im Vorbeigehen nickte Arlen ihnen grüßend zu, sagte jedoch nichts und blieb kein einziges Mal stehen. Alle starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an, manche verneigten sich gar oder zeichneten Siegel in die Luft. Die meisten unterbrachen das, was sie gerade taten, und folgten ihnen. Sie hielten respektvoll Abstand, aber der Lärm, den sie veranstalteten, schwoll an, je größer die Menge wurde, und mehr als einmal schnappte Renna das Wort »Erlöser« auf.
Arlen schien nicht darauf zu achten. Mit gelassener Miene führte er sie in den Stadtkern.
Es gab Dutzende von Häusern und Hütten, alle neu errichtet, und ein paar Hundert weitere befanden sich im Bau. Die Windungen des Großsiegels ließen dazwischen große Waldflächen unberührt, und dadurch bewahrte sich die Siedlung eine schlichte, dörfliche Atmosphäre, ganz anders als die Betonstraßen, die Steinmauern und die hohen Gebäude in Flussbrücke.
»Hier fühle ich mich fast wie zu Hause«, meinte Renna. »Als könnten wir hinter der nächsten Wegbiegung den Stadtplatz und Ruscos Gemischtwarenladen sehen.«
Arlen nickte. »Hier heißt der zentrale Platz ›Friedhof der Horclinge‹, und Smitt nimmt Ruscos Stelle ein, aber im Grunde besteht kein großer Unterschied. Ich glaube, deshalb ließ ich mich für eine Weile im Tal nieder. Ich war noch nicht bereit, in meine Heimat zurückzukehren, und das hier war der zweitbeste Ort.«
Sie bogen um eine Ecke, und der Friedhof der Horclinge kam in Sicht. Die gepflasterte freie Fläche glich dem Zentrum des Weilers Stadtplatz. An einem Ende stand ein aus Stein gebautes Heiliges Haus, das man leicht mit dem des Fürsorgers Harral auf Torfhügel hätte verwechseln können, aber es wurde förmlich erdrückt durch die Fundamente, die man ringsum anlegte, und Hunderte von Männern hoben Gräben aus und transportierten Steine.
Arlen blieb abrupt stehen, und einen Moment lang verschwand sein Ausdruck von Gelassenheit. »Dieser angieranische Fürsorger hat keine Zeit verschwendet. Anscheinend lässt er eine Kathedrale bauen, die Jonas Heiliges Haus verschluckt wie ein Frosch eine Fliege.«
»Du redest, als wäre das etwas Schlechtes«, hielt Renna ihm vor. »Wenn die Stadt tatsächlich so stark wächst, wie du sagst, brauchen sie da nicht auch mehr Platz für die Gläubigen?«
»Schätze ja«, räumte Arlen ein, aber er klang nicht überzeugt.
Am hinteren Ende des mit Kopfstein gepflasterten Platzes befand sich ein weitläufiges Podium mit einer breiten
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