Die Flüchtlinge
da, M’Kale – wieviel kann er verkraften?“
„Das kommt darauf an“, sagte Ozchan. „Sprechen Sie jetzt von emotionalem Streß? Solange ich bei ihm bin und ihn unter meinen Fittichen habe, sollte er nahezu alles ertragen können. Das ist nur eine Frage der medizinischen Vorsorge. Hart ist sein Sohn, ja? Es ist nur natürlich, daß ein Vater seinen Sohn trifft, wenn dieser eine Zeitlang weggewesen ist. So wie Sie jetzt darüber reden, hat man den Eindruck, als handele es sich bei Hart um irgendein Ungeheuer.“
Quilla und Hoku sahen ihn schweigend an.
Der Tisch war von Menschen umringt. Quilla, Tabor und ihre beiden Kinder waren da, Meya, der fett und unglücklich wirkende Kapitän Hetch, Dr. Hoku und Hart Kennerin, der von Kroeber einen Freund mitgebracht hatte, der Tev Drake hieß. Ozchan saß neben Tabor und beobachtete die Gesichter und Emotionen, die den Raum erfüllten.
Hart war ungeheuer charmant. Er küßte Quilla und lachte, als Meya und die Zwillinge vor ihm zurückschreckten. Dann lobte er die Kinder, wie groß sie schon seien, während sie ihn mißtrauisch ansahen. Er schüttelte Ozchans Hand und machte Hoku, die sich alle Mühe gab, ihn zu übersehen, ein Kompliment. Schließlich stellte er den Anwesenden seinen Freund Drake vor, der jedermann freundlich anlächelte – besonders Quilla, die ihn mit kalter Herzlichkeit behandelte und ihre Aufmerksamkeit ansonsten Kapitän Hetch zuteil werden ließ. Ozchan sah, daß Hetch Quilla gegenüber eine hilflose Geste machte, als Hart in eine andere Richtung sah. Auch Drake blieb diese Geste nicht verborgen. Er runzelte die Stirn. Mim kam herein und brachte ein Fäßchen Bier. Hinter ihr erschienen die Köchinnen mit dem dampfenden Eintopf.
„Ich bin von Neuheim“, murmelte die Haushälterin als Antwort auf Harts Schmeicheleien. „Wir vergessen nichts.“
Quilla sah verwundert auf, aber Hart lachte.
„Ich habe ihr ein Glas Saft ins Gesicht geschüttet, als sie zum ersten Mal zu uns kam“, erklärte Hart Ozchan. „Sie hat mir das niemals vergeben.“ Er wandte sich Quilla zu und lächelte gewinnend. „Es war wirklich nur Saft, Quil, glaube mir.“
Quilla sah ihn an, dann wandte sie sich Decca zu, um deren Teller zu füllen. Ozchan fragte sich nach den Gründen, warum jedermann den Eindruck machte, als habe er etwas nicht vergessen und sei auch nicht bereit zu vergeben, aber das Tischgespräch gab ihm keinerlei Hinweise. Hart sprach über die Reise, über den Planeten Kroeber, erzählte schelmische Geschichten über seine Fakultät und Mitstudenten, erwähnte beiläufig einen Preis, den er bekommen hatte, berichtete von den Fortschritten, die seine Studien machten, und informierte sie, daß man ihm bereits Lehrstühle angeboten habe. Aber zuerst müsse er sein Studium beenden. Ozchan fing Quillas Blick auf und hob eine Augenbraue. Sie nickte unmerklich. Hart sprach also die Wahrheit. Ozchan empfand plötzlich Sympathie für den jungen Mann, der in der frostigen Runde seiner Familie saß und die aufgeladene Atmosphäre mit seinen Erzählungen zu erhellen versuchte.
Meya verschüttete aus Versehen ihren Saft und sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Ozchan verspürte Überraschung. Er hatte sie bisher gar nicht richtig wahrgenommen: Sie wirkte hübsch, bewundernswert erwachsen, selbstbewußt und intelligent. Meya war nicht der Mädchentyp, der Saftgläser umwarf und darüber auch noch in Tränen auszubrechen drohte. Er sah sie sich etwas näher an. Sie war mehr als hübsch, aber ihre Hände zitterten, als Mim ihr half, den Saft aufzuwischen. Quilla drückte Meyas Hände. Die Zwillinge sahen aus wie eine doppelte Ausgabe der Ernsthaftigkeit in Person. Quilla ließ sie schließlich hinaus.
Tabor seufzte und schob seinen leeren Teller beiseite. Er legte die Hände in den Schoß und tastete nach seiner Flöte.
Hart, immer noch lächelnd, stand auf und reckte sich.
„Ich würde nun gern meinen Vater sehen“, sagte er.
Hoku preßte die Lippen aufeinander. Ozchan sah in Quillas ausdrucksloses Gesicht.
„Ich möchte ihm vorher lieber sagen, daß Sie da sind“, sagte er diplomatisch. „Er ist nämlich nicht in der richtigen Kondition für plötzliche Überraschungen, und …“
„Nehmen Sie ihn nur mit hinauf“, sagte Quilla. „Jason wird so oder so durcheinandergeraten. Da kommt es auf ein Früher oder Später nicht mehr an.“
Hart schien etwas sagen zu wollen, aber dann schloß er den Mund und ging auf die Tür
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