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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Einladung war.
    Man mußte eine ausgetretene Steintreppe hochgehen, um in Lucien Crespins Haus zu gelangen. Er hatte die Tür angelehnt, die in einen dunklen Flur führte. Nur aus dem Zimmer am Ende des Gangs drang Licht. Alexa hatte keine Vorstellung, wie viele Zimmer das Haus haben mochte. Die meisten Häuser in dieser Region waren verwinkelt und verschachtelt, viele von alten Menschen bewohnt, die außer Schlafzimmer und Küche nichts mehr brauchten.
    Der Flur führte geradewegs in die Küche. Von der Veranda fiel Sonnenlicht in den großen Raum mit einem Boden aus mächtigen grauen Steinplatten. Über dem Kamin an der Stirnseite des Raumes war die von zwei Balken getragene Decke schwarz vor Ruß. In der Mitte des Raumes stand ein langer Holztisch. Der Strauß Wildkräuter auf dem Tisch, im gelben Krug, rührte sie. Über dem angeschlagenen Spülstein hingen ein Spiegel, und, an einer Leine, zwei Geschirrtücher, daneben stand ein emaillierter Küchenherd, eine Antiquität, sie hatte einen ähnlichen beim Trödler in St. Julien gesehen. Darauf eine mattsilberne Espressokanne.
    Lucien Crespin bot ihr einen geschwungenen Stuhl mit Samtpolster an, es war der eleganteste der fünf Stühle, die um den Tisch herumstanden. Der größte, mit Armlehnen, war eindeutig der Platz des Hausherrn, das flachgesessene Sitzpolster steckte in einem buntbestickten Bezug. Die Stickerei schien sich langsam aufzulösen.
    Alexa setzte sich. Sie hatte ihren Nachbarn noch nie so nah gesehen. Schwer zu sagen, wie alt er war – die paar Bartstoppeln an seinem Kinn waren weiß wie sein Haar, die Hände lang, schmal und für jemanden, der täglich in seinem Gemüsegarten arbeitete, erstaunlich gepflegt. Jedenfalls war er alt genug, um sie noch gekannt zu haben, die Unglücksgeschichten der Menschen in ihrem Haus. Sie goß sich Milch aus einem blauweißen Kännchen in die riesige Tasse mit dampfendem Kaffee, die er vor sie hinstellte und rührte aus lauter Verlegenheit einen Löffel Zucker zuviel hinein.
    Der alte Mann pustete in seine Tasse und nahm den ersten Schluck schlürfend.
    Alexa hatte ihre in beide Hände genommen. Der Kaffee war zu heiß und zu süß. Sie sah sich in der Küche um. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, entdeckte sie die Fotos auf dem steinernen Sims über dem rußgeschwärzten Kamin. Das eine im ovalen Rahmen sah wie ein Hochzeitsfoto aus, das andere wie ein Bild aus dem vorvergangenen Jahrhundert. Dann sah sie das große Schwarzweißfoto im braunen Holzrahmen, das neben dem Kamin an der Wand hing. Crespin drehte sich um, als er ihren Blick sah.
    »Pierre Ronsard«, sagte er und zeigte auf den Mann links im Bild, einen Mann mit einer hochgeschlossenen Bluse und einer flachen Kappe auf dem Kopf. Der Mann lehnte gegen einen Pfeiler, der aussah wie der am Treppenaufgang zu ihrem Haus. »Der Bäcker. Neben ihm steht Beatrice, seine Frau. Dann komme ich. Dann Adeline.«
    Alexa brauchte nicht zu fragen. Das mußte Lucien Crespins Frau gewesen sein. »Daneben Madeleine Champetier. Und rechts außen Alphonse. Wir haben Madeleines Geburtstag gefeiert.«
    Madeleine Champetier, die bis zu ihrem Tod allein in Alexas Haus gelebt hatte – mit ihrem Hündchen, wie die Maklerin sagte –, hatte auch auf dem großen Schwarzweißfoto einen Hund zu Füßen sitzen, ein geschecktes Tier mit abgeknicktem Ohr. Der junge Lucien Crespin trug einen Schnauzbart und hielt eine geschwungene Pfeife mit großem weißen Kopf in der Faust, das schmale Gesicht ließ ihn wie einen Advokaten aussehen – oder, dachte Alexa, wie einen Lehrer.
    Aber am meisten interessierte sie der Mann von Madeleine, Alphonse, ein Kerl mit breiten Schultern, breitem Lächeln und einer Art Uniformmütze schräg auf den dunklen Locken. Wie ist er gestorben? wollte sie fragen. Wer hat Alphonse Champetier getötet? Deutsche Soldaten? SS? Die Frage beschäftigte sie, wie immer, wenn es um den Zweiten Weltkrieg ging und die Rolle der Deutschen dabei.
    Sie merkte, daß der Kaffee seltsame Dinge mit ihrem Magen anstellte, der neuerdings zu Launen neigte, und schob die Tasse von sich. Der alte Mann sah besorgt erst auf die Tasse, dann in ihr Gesicht.
    »Mach dir nichts draus«, sagte er schließlich.
    »Er ist ein schwieriger Mensch. Aber man muß sich vor ihm nicht fürchten.«
    Wen meinte er? Sie runzelte die Stirn.
    »Er ist schon zu lange allein. Es ist nicht gut, wenn man zu lange allein ist.«
    Crespin hätte von sich sprechen können. Oder von

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