Die Fotografin
Hühnermagen in kleine Stücke.
Dann kappte sie mit der Geflügelschere die Flügel des Vogels knapp unterhalb dessen, was beim Menschen der Ellenbogen gewesen wäre, und trennte Hals und Kopf vom Leib. Aus dem Kropf quollen Getreidekörner und halbverdaute Grashalme.
Die Brustfilets schälte sie von der Karkasse, trennte die beiden Schenkel am Gelenk ab und legte alles beiseite. Gerippe, Hals und Flügel zerteilte sie grob und warf sie in den Topf, in dem bereits Lorbeerblätter und Möhren, Wacholderkörner und Lauch, eine Zwiebel, ein Zweig Rosmarin und eine rote Pfefferschote kochten.
Felis, die schon wieder bettelte, bekam auch noch das Herz. Das Fleisch kam in den Kühlschrank. Die Suppe würde sie zwei Stunden leise köcheln lassen. Alexa wusch sich die Hände und trocknete sie ab. Erst in Frankreich hatte sie gelernt, wie ein Huhn gebaut ist. Auf dem Markt kaufte man Geflügel, das noch danach aussah.
Vom Kirchturm schlug es 12 Uhr. Jetzt schlossen alle Läden. Zu spät, um nach St. Julien zu fahren.
Alexa legte den Deckel auf den Suppentopf und ging hinaus auf die Terrasse. Ein Schwarm von Meisen stieg aus der Kletterrose. Um die Buddleia torkelten verzückte Schmetterlinge. Am Himmel zogen Wolkenfetzen vorbei. Vielleicht hätte sie nicht so lange hochsehen sollen – plötzlich war ihr schwindelig. Als sie sich zum Liegestuhl vorgetastet hatte, fühlte sie, wie eine große Mattigkeit sie umfaßte, in die sie sich hineinsinken ließ, als habe sie auf nichts anderes gewartet.
Sie schloß die Augen und legte sich die Hand auf den Bauch. Wenn sie weiter so zunahm, sah sie bald so aus wie die Frau auf den Fotos, die ihr gestern entgegengegrinst hatte. Alexa verzog den Mund. Stundenlang war sie um den Umschlag mit den Fotos herumgeschlichen wie die Katze ums Vogelnest und dann, als sie sich endlich überwunden hatte, das: Urlaubsfotos, auf denen man eine nicht gerade schlanke Frau im allzu knappen Bikini sah, aus verschiedenen Blickwinkeln, aber meistens lasziv hingestreckt, in der einen Hand die Zigarette, in der anderen ein Glas. Daneben das übliche – die Uferpromenade in Nizza, eine Strandansicht von St. Tropez, die Corniche. Sie hatte die Fotos flüchtig durchgesehen und dann wieder in den Umschlag gesteckt. Das waren nicht ihre, nicht Adas Aufnahmen. Es sah ganz so aus, als ob sie nie erfahren würde, was Ada Silbermann fotografiert hatte, bevor sie starb. Und wie wohl ihre eigenen ersten Versuche mit der Fotografie geworden waren?
Felis sprang neben ihren Kopf und schnurrte sie an. Träge kraulte sie das Tier, bis es sich neben ihr zusammenrollte. Alexa schloß die Augen. Sie mußte nach St. Julien fahren, heute noch, und wenigstens versuchen, den Film und die Abzüge umzutauschen.
Vor ihrem inneren Auge zogen gelbe Kornfelder vorbei und roter Mohn, grüne Wiesen und silberne Flußläufe. Unter einem Baum mit silbriggrünen Blättern stand ein Mann und winkte. Als sie zurückwinken wollte, sah sie die Frau. Die Frau mit der Leica.
12
D er dreiarmige Leuchter an der Zimmerdecke schwankte in der Zugluft, als Bremer die Tür zu Karens Hotelzimmer öffnete. Vom Bett flogen großzügig beschriebene oder mit Diagrammen versehene Blätter auf. Karen stand am weit geöffneten Fenster und drehte sich um, als sie ihn hörte.
Bremer schloß die Tür, bückte sich und sammelte die Blätter wieder ein. »Sherlock Holmes kam ohne Rechercheplan aus.«
»Dafür hatte er schließlich seinen Protokollführer«, sagte sie, gespielt vorwurfsvoll. »Wo warst du die ganze Zeit?«
Bremer legte die Blätter aufs Bett. »Bei der Arbeit. Als Entschädigung habe ich dir den neuesten Klatsch und Tratsch mitgebracht.«
Karen lehnte am Fenster, während er die Cafégespräche zusammenfaßte. »Den Ehemann schließen die meisten aus. Und natürlich glaubt niemand, daß es jemand aus dem Dorf war.«
Karen nickte. Nach einer Weile sagte sie: »Einige scheinen zu vermuten, sie habe irgend etwas gesehen – oder etwas gewußt.«
»Sie hat den Präsidentensohn zusammen mit einem Koksdealer fotografiert.«
»Aber was hat das mit Eva Rauch…«
»Wahrscheinlich nichts, Karen.« Aber damit würde sie sich nicht zufriedengeben.
Karen zögerte einen Moment. Dann hatte sie einen Entschluß gefaßt. »Wir gehen.«
»Aye, aye, Capt’n. Und wohin?«
Sie grinste ihn an. »Zur zuständigen Polizeidienststelle. Du übersetzt.«
»Das heißt hier Gendarmerie. Und woher weiß ich, wo die zuständige Gendarmerie…«
»Du
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