Die Fotografin
fragst.«
Karen warf die roten Haare nach hinten und guckte kämpferisch. Bremer seufzte und schaute ihr zu, wie sie mit dem altmodischen Schlüssel im Türschloß des Hotelzimmers kämpfte. Folgsam ging er hinter ihr her. Sie trug enge, dreiviertellange Jeans, dazu rote, hochhackige Cowboystiefel und ein helles Leinenjackett, das gerade so eben ihr nicht wirklich schmales Hinterteil bedeckte. Über der rechten Schulter hing der großräumige Beutel, den sie Handtasche nannte. Sie marschierte den Flur und die Treppe herunter, als ob sie die französische Befreiungsarmee gegen die Engländer anführte.
Auf der Terrasse vor dem kleinen Hotel saßen ein paar deutsche Touristen und unterhielten sich leise, aber hörbar über La Douce France.
»Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht, daß die Franzosen heute so gute Autos bauen«, sagte der eine, ein Mann mit stahlgrauen Locken auf dem Kopf. Die anderen nickten.
»Und die Landschaft ist traumhaft.« Die Frau in der engen Fahrradjacke räkelte sich auf ihrem Stuhl.
»Hmmm«, machte die andere neben ihr und hielt das Gesicht mit halbgeschlossenen Augen in die Sonne.
»Das Paradies auf Erden. Nur…« Der Mann machte eine Pause, die auf einen oft bewährten Witz schließen ließ. »Nur – eines können sie nicht.« Allgemeines Aufstöhnen folgte.
»Kochen!«
Bremer grinste in sich hinein. Auf dem Platz vor dem Hotel war keine Menschenseele zu sehen, nur ein roter Kater saß auf einem der Tische und schielte sehnsüchtig zu einem Haus hinauf, auf dessen Terrassenmauer eine kleine graue Katze paradierte, die ihren buschigen Schwanz aufreizend schwenkte.
»Und wen soll ich fragen?« Bremer fragte in aller Unschuld, während Karen an der Tür zur Apotheke rüttelte. Die hatte geschlossen. Auch das Café sah verwaist aus. Und an der Tür zur Bäckerei hingen zwei Uhren aus Pappe, deren Zeiger die Öffnungszeiten markierten. Man hatte Mittagspause – bis halb drei. Jetzt war es zehn nach zwölf.
»Du meinst, die klappen ihre Bürgersteige erst in drei Stunden wieder runter?« Karen hatte die Fäuste in die Seiten gestemmt und sah ihn vorwurfsvoll an.
»In knapp zweieinhalb Stunden, Karen.«
Sie schnaubte verächtlich. »Dann ist der Tag ja vorbei!«
»Zügle dich. Dem Südländer ist die Siesta heilig.« Plötzlich war ihm selbst nach einem kleinen, geruhsamen Mittagsschläfchen.
Aber Karen wirkte von Minute zu Minute entschlossener. »Was ist die nächstgrößere Stadt? Die Polizei schläft nie!«
Bremer hätte nicht darauf gewettet. »St. Julien, vermute ich.«
»Hol schon mal den Wagen.« Sie stiefelte die schmale Gasse hinunter.
Der gepflasterte Weg öffnete sich auf den großen Platz vor dem Hotel, auf dem unter Platanen Bremers Auto stand. Es war so friedlich und mittäglich still, daß ihn der gewaltige Akkord traf wie ein Schlag in den Nacken. Auch Karen war stehengeblieben und drehte sich suchend um die eigene Achse.
»Die Musik kenne ich doch… Beethoven?« sagte sie und blinzelte gegen die Sonne in die Richtung, aus der die Musik kam. Bremer folgte ihrem Blick. Auf der Brüstung eines schmalen Balkons saß ein Mann, die Augen geschlossen, den Kopf an die Säule hinter seinem Rücken gelehnt, und gab mit der rechten Hand den Takt an.
»Während der heiligen Mittagszeit! Daß die den noch nicht gelyncht haben…«
Karen sah so aus, als ob sie ernstlich überlegte, den Mann nach der nächsten Gendarmerie zu fragen. Wahrscheinlich laut brüllend, über den ganzen Platz hinweg… Hastig entriegelte Bremer das Auto und hielt ihr die Tür auf. Dann fuhren sie los.
Die schwere Tür zur Gendarmerie in St. Julien ließ sich tatsächlich aufdrücken. Nach der Sommerhitze draußen wirkte das düstere Entrée mit dem staubigen Ficus angenehm kühl. Ein von einer Wand zur anderen verlaufender Tresen trennte den Vorraum von der Polizeiwache. Die Verglasung darüber ließ in der Mitte eine Art Pförtnerluke frei.
Niemand der Männer hob den Kopf, als Bremer grüßte. Der eine blätterte in einem Aktenordner, der andere versuchte, ein offiziell aussehendes Formular in eine Schreibmaschine einzuziehen, obwohl daneben ein Computer stand.
Schließlich sah der Mann mit der Akte auf. Bremer versuchte, ihm Karens Anliegen plausibel zu machen – ein auch ohne die nötige Übersetzung ins Französische nicht sonderlich einfaches Unterfangen.
Der Mann hörte mit zur Seite gelegtem Kopf zu. Dann sah er auf und lächelte Karen an.
»Ich bin selbstverständlich
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