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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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anzukratzen.«
    Eine Art Anspannung in Trenchards Zügen löste sich. Die Linien um seinen Mund wurden weicher, und der herzliche Blick seiner Augen wirkte aufrichtiger. »Das Land hat Sie wohl in seinen Bann geschlagen, wie?«, fragte er mit unüberhörbarem Vergnügen. »Dabei waren Sie noch nicht einmal in der Nähe von Kairo, ganz zu schweigen vom Oberlauf des Nils. Ich würde Ihnen wünschen, dass Ihre Aufgabe Sie nach Heliopolis führt, zu den Kalifengräbern oder den versteinerten Wäldern. Wenn Sie schon einmal so weit wären, müssten Sie unbedingt zu den Pyramiden von Giseh hinausreiten und natürlich auch zur Sphinx und sich dann zumindest auch noch die Pyramiden bei Abusir und Sachra sowie die Ruinen von Memphis ansehen.« Er schüttelte leicht den Kopf, als müsse er über einen Scherz lachen, den nur er begriff. »Danach könnte Sie nichts auf Erden mehr daran hindern, weiterzureisen zu den bedeutendsten und ältesten aller Ruinen, bis Theben und dem Tempel von Karnak. Was es dort zu sehen gibt, entzieht sich
jeder Vorstellungskraft.« Bei diesen Worten sah er Pitt aufmerksam an. »Glauben Sie mir, kein heutiger Mensch des Westens kann sich die Großartigkeit dieser Anlagen ausmalen – sie sind einfach unüberbietbar!« Wie er da in der Mitte seines Büros stand, schien er den modernen Möbeln und den zahlreichen Konsulatsakten entrückt zu sein. Man hatte den Eindruck, als richte sich sein Blick auf den zeitlosen Sand der Wüste.
    Pitt sagte nichts; ihm war klar, dass eine Antwort weder nötig war noch erwartet wurde.
    »Dann südwärts nach Luxor«, fuhr Trenchard fort. »Den Nil müssen Sie im Morgengrauen überqueren. In Ihrem ganzen Leben haben Sie bestimmt noch nichts gesehen, was dem Anblick vergleichbar wäre, der sich bietet, wenn sich das über der Wüste aufgehende erste Licht auf die Wasseroberfläche legt. Von dort sind es nur noch etwa sechs Kilometer bis zum Tal der Könige.
    Mit einem schnellen Kamel können Sie zum Sonnenaufgang bei den Gräbern der Pharaonen sein, deren Vorgänger viertausend Jahre vor Christi Geburt über Ägypten herrschten. Als der Erzvater Abraham aus Ur in Chaldäa in dies Land kam, waren sie schon eine alte Dynastie. Haben Sie eine Vorstellung, was das bedeutet?« Seine Augen blitzten herausfordernd. »Daran gemessen ist das britische Reich, das gegenwärtig die Erde umspannt, erst in den letzten fünf Minuten auf der Uhr der Geschichte entstanden.« Auf einmal verstummte er und holte dann tief Luft. »Aber leider werden Sie für all das keine Zeit haben, und sicherlich ist Narraway auch nicht bereit, dafür zu zahlen. Entschuldigen Sie bitte. Zweifellos sind Sie so pflichtbewusst, dass Sie Ihren Auftrag unbedingt so rasch wie möglich erfüllen wollen.«
    Pitt lächelte. »Das Pflichtbewusstsein verbietet mir nicht, etwas über Ägyptens Geschichte zu erfahren oder zu wünschen, dass es nötig sein möge, Miss Sacharis Hintergrund mindestens bis Kairo zu erforschen! Bisher habe ich keinen Vorwand dafür gefunden, aber ich habe die Suche danach noch nicht aufgegeben.«
    Lachend ging ihm Trenchard voraus auf die belebte Straße und diese ein kurzes Stück entlang in eine Richtung, in die Pitt noch
nicht gegangen war. Bewundernd betrachtete er die herrlichen Gebäude mit ihrem ausgetüftelten Fassadenschmuck und den zum Schutz gegen die Hitze überdachten Balkonen. Auf einem von ihnen saßen zwischen den Säulen einige ältere Männer auf üppigen türkis- und goldfarbenen Kissen, die sich ernsthaft miteinander zu unterhalten schienen, während sie Brot, Datteln und anderes Obst aßen. Auf einem Tischchen stand eine schmale, hohe Vase mit rosa Rosen. Der kurze Blick, den die Männer auf die beiden Engländer warfen, war voll Verachtung und Ablehnung, doch im nächsten Augenblick verschwand dieser Ausdruck wie hinter einer Maske. Tauben umschwirrten die Männer, und hinter ihnen stand ein kräftiger Diener in Pumphosen, dessen Haut fast ebenso schwarz war wie sein Bart, um auf ihren Wink zu warten.
    Unwillkürlich kam Pitt der Gedanke, dass diese Szene vor tausend Jahren ganz genauso hätte aussehen können.
    Sie traten in das von Trenchard ausgewählte Lokal, und er bestellte für beide, ohne Pitt nach seinen Wünschen zu fragen. Als das Essen kam, griff er unter Missachtung aller europäischen Etikette mit den Fingern zu, und Pitt folgte seinem Beispiel. Die Mahlzeit war köstlich. Alles passte aufs Schönste zueinander: Farben, Geruch und

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