Die Frau des Polizisten
Freund Esko Hietala an, dessen Sommerhäuschen Erikas nächster Zufluchtsort werden sollte – auf einer Klippe am Meer. Mit rundum freier Sicht.
Der Finne nickte. Er hatte kein Wort mehr als nötig von sich gegeben, wie Anna ihr zugeflüstert hatte. Erika hatte nicht darauf reagiert. Schweigen war nichts, was einem Norrländer, wie sie einer war, komisch vorkam. Erika atmete die feuchte Luft ein, roch eine Mischung aus vermodernden Pflanzen, Erde und Salzwasser. Der Parkplatz war bis auf ihre beiden Autos leer. Die große Asphaltfläche war von hohen Bäumen umgeben, die sich bedrohlich neigten; zwischen den Bäumen und Sträuchern blitzten im Dunkeln liegende, jetzt im Winter verlassene Sommerhäuschen auf.
Erika zog die Jacke dichter um sich, schulterte ihren Rucksack und stellte sich neben den hochgewachsenen Finnen. Sein Gesicht leuchtete im Halbdunkel gespenstisch weiß. Er war lang, dürr und sehnig. Erika nahm an, dass er entweder Marathon lief oder kletterte. Er besaß einen wohlgeformten Mund, hohe Wangenknochen, leicht schiefstehende Augen und ein ernstes, hageres Gesicht. Als er Kurs auf die entlegenste Ecke des Parkplatzes nahm, folgten sie ihm rasch, den Blick auf seinen Rücken geheftet.
Anna schnatterte lebhaft – zu lebhaft, befand Erika – darüber,wie sich die versteckten Sommerhäuschen im Frühjahr und Sommer füllten. Dass die Klippen dann Vogelfelsen glichen, weil so viele Menschen sich darauf sonnten, dort schwammen, aßen, tranken und den ersten Teil des Paarungstanzes aufführten, bevor der Abend im Lokal und in den Nachtclubs endete.
Es war kalt und windig, und die feuchte Luft drückte gegen den Körper, zog die Kleidung nach unten und drang bis auf die Haut. Der Wind zerrte an den Zweigen und ließ Kaskaden dicker Wassertropfen auf sie hinunterregnen. Der Weg schlängelte sich zwischen Bäumen dahin und begann anzusteigen, wurde durch den losen Kies und die Wurzeln immer steiniger und tückischer. Je näher sie dem Meer kamen, desto größer wurden die Sommerhäuser, mit riesigen Panoramascheiben und penibel angelegten kleinen Gärten mit Lattenzaun und künstlichen Mauern. Es gab viele Felsen, hart, kahl und grau, die für Erika das Sinnbild der Westküste waren. Klippen so nackt wie ein Tier nach der Schur, blank poliert von dem rauen Klima der Westküste.
Erika verabscheute das Meer zutiefst. Hasste das klebrige Salzwasser, den Gestank von vermoderndem Tang, die Quallen und die Köderwürmer unter ihren sich windenden Sandhaufen, die auf dem Meeresboden wie Hundehaufen aussahen. Vor allem aber verabscheute sie es, in Salzwasser zu baden und das unsaubere Gefühl, wenn es auf der Haut und in den Haaren klebte, nachdem man trocken war. Der Wind frischte plötzlich auf und wehte beharrlich von der See her; der verhasste Geruch drängte sich ihr auf. Sie erklommen glatte Felsen. Der Wald lichtete sich, und die Bäume wuchsen immer spärlicher, so dass sie das weite Meer unterhalb der Klippen erahnen konnte. Plötzlich war der Weg nicht mehr zu erkennen.
»Ach, du meine Güte«, rief Anna aus und trat mit einem raschen Schritt zur Seite. Sie starrte auf ein kleines rotes Häuschen hinter einem Bretterzaun und schlug die Hände vor den Mund.
»Mumins«, sagte Esko trocken und blieb stehen. Er betrachtete das Schauspiel hinter dem Zaun, weiße Figuren, die in der Dunkelheit zu leuchten schienen.
»Verflucht, hab ich Schiss gekriegt«, stöhnte Anna. »Die sehen aus wie Hattifnatten, diese Mumins, die bei Gewitter von selbst leuchten.«
Esko nickte.
»Hm, der Sommerhausbesitzer ist ’n bisschen eigen. Sammelt alle Arten von Mumintrollen, hat den ganzen verfluchten Garten voll davon. Sie sehen aus, als ob sie leuchten würden, weil sie so hell sind.«
Er wandte sich an Erika.
»Fang bloß nicht an, dich mit ihm über sie zu unterhalten, er findet kein Ende. Aber mach dir keine Gedanken, er ist ungefährlich. Er ist eben nur verflucht originell.«
Esko drehte sich um, und seine langen Beine staksten weiter über die Felsen. Erika beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten, und fragte sich, wie sie jemals wieder in die Zivilisation zurückfinden sollte. Sie kehrten wieder auf den ausgetretenen Weg zurück, der Fels war von Grasbüscheln und kiesigen Abschnitten durchsetzt. Vereinzelte Tannen kauerten am Wegrand und neigten sich alle in dieselbe Richtung, gepeinigt vom Westwind. Esko bog vom Weg ab und stieg glatte Steinstufen hinauf. Erika erblickte dort, wo sie endeten, ein
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