Die Frau des Polizisten
in Form gegossenen Betonwände war schon errichtet worden, mit vorgefertigten Fenster- und Türlöchern. Das Baumaterial lag sorgfältig gestapelt und auf Haufen verteilt auf dem Grundstück, im Unterschied zu dem Wirrwarr, der bei Kai Andrées Villa herrschte, wo alles – sei es Gerümpel oder brauchbares Material – gedankenlos hingeschmissen worden war.
»Was denkst du?«, wollte Anna wissen.
Erika rührte sich nicht, biss sich auf die Innenseite der Lippe und schwieg. Ihr Entschluss war gewachsen. Sie verfluchte sich selbst, dass es so lange gedauert hatte. Wenn sie zurückdachte, wurden ihre Wangen rot vor Scham. Es kam ihr so vor, als ob sie all die Jahre mit Göran unter einer Glasglocke aus Demütigung und Scham verbracht hatte. Sie wusste aber auch, dass das nicht die ganze Wahrheit war.
Sie war in ihn verliebt, richtig verliebt gewesen. Und die Liebe hatte sie zugleich stark und schwach gemacht. Hatte sie mit der glühenden und zugleich sinnlosen Hoffnung nach Veränderung erfüllt. Dass ihre Liebe ihn heilen könne. Sowie sie sich verändern würde, sich etwas mehr bemühte, würde das Böse und Bedrohliche, das in ihm schlummerte, verzehrt werden, sich auflösen oder sich zumindest abschwächen.
Langsam hatte tief in ihrem Innern eine ungeduldige Wut zu lodern begonnen, wurde ihr doch mit jedem Tag, den sieaußerhalb des eisernen Käfigs verbrachte, den Göran um sie errichtet hatte, immer klarer, wie krank das alles gewesen war.
»Meinst du das Sommerhaus damit?«, antwortete Erika mit rauer Stimme. Anna nickte, wandte sich zu ihr um und musterte sie. In ihren Augen stand ein durchbohrender, besorgter Schimmer.
»Ja. Wirst du dich verstecken?«
»Nein, im Gegenteil. Er soll mich finden – aber zu meinen Bedingungen …«
»Aber, Erika, du … du kannst doch nicht … oh, verdammt!«
Anna schlug sich die Hand vor den Mund.
»Du weißt, was zu tun ist«, antwortete Erika und atmete zitternd aus. »Solange ich vor ihm Reißaus nehme, geht das so weiter. Mit mir … und anderen.«
Anna musterte sie still aus großen glänzenden Augen. Erika spürte, dass sie zitterte.
Die Stille, die in dem durchsichtigen Seenebel über dem Meer hing, schien sich ihnen zu nähern und jede Bewegung, jedes Geräusch und jedes Leben zu schlucken.
»Bald ist meine Vertretungsstelle ausgelaufen … und was tut eine arbeitslose Polizistin?«
Erika spürte, dass Anna sich abwandte. Alle wussten es inzwischen. Die Stille um sie herum breitete sich weiter aus. Eine unsichtbare Quarantänemaßnahme, die ihr auf Schritt und Tritt folgte.
»Nur ich allein kann ihn herauslocken«, presste Erika hervor.
»Mensch, Erika! Wie Superwoman? Sich die Bestie alleine vorknöpfen – heißt allein gleichzeitig auch stark sein? Deine Familie …«
Anna verstummte und merkte, dass sie wie ein kleiner Hund kläffte, ein sinnloses Bellen.
»Du weißt genauso gut wie ich, dass er nur dann unvorsichtig wird, wenn er sich am Ziel wähnt«, fuhr Erika beharrlich fort.
Anna gab ein unerwartetes Kichern von sich.
»Weil sein Ego so groß ist, dass noch nicht mal das Universum groß genug für ihn ist? Hast du das nicht mal gesagt?«
Erika lächelte.
»Nee, ich hab gesagt, dass er der Mittelpunkt des Universums ist. Sein Ego ist so aufgeblasen, dass er sich sogar angesprochen fühlt, wenn sich jemand in der hintersten Ecke des Raumes im Flüsterton unterhält. Man nennt das Paranoia. Ein aufgeblasenes Ego ist nicht immer leicht zu schultern …« Erika warf ihrer Freundin einen warmen, dankbaren Blick zu. Sie fielen sich in die Arme und hielten sich lange und fest umschlungen.
»Du hast mir gefehlt«, murmelte Erika, das Gesicht in das Haar ihrer Freundin vergraben. »Sehr gefehlt. Und es tut mir leid, dass wir den Kontakt verloren haben. Aber es ist einfach so passiert. Ich hoffe, du kannst es verstehen?«
Anna trat einen Schritt zurück und betrachtete ihre Freundin. Sie lächelte zwischen Tränen und nickte.
Zügig gingen sie zurück. Die Kälte und die Dunkelheit kehrten langsam wieder, wie ein Schleier, der vom Meer hereinzog. Und weiter draußen auf dem Meer wuchs eine dicke blauschwarze Wand, die kräftigen Wind und mehr Schnee ankündigte. Die Tage waren immer noch kurz. Es würde noch dauern, bis es richtig Frühling wurde.
Sie holten Annas Sachen aus dem Sommerhaus und gingen den sich dahinschlängelnden tückischen Weg zurück zum Parkplatz. Ein letztes Mal versuchte Anna Erika davon zuüberzeugen,
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